Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
London Road - Geheime Leidenschaft

London Road - Geheime Leidenschaft

Titel: London Road - Geheime Leidenschaft
Autoren: Samantha Young
Vom Netzwerk:
sie.
    Ich nickte und bückte mich, um die Hände unter ihre Achseln zu schieben. Ich wuchtete ihren dürren Leib zurück aufs Bett, legte ihre Beine hoch und schob sie unter die Decke. »Warte, ich mache das sauber.«
    »Ich brauch noch was, Jo.«
    Ich seufzte tief und ließ den Kopf hängen. Fiona, meine Mutter, war schwer alkoholkrank. Sie hatte schon immer viel getrunken, aber früher war es mir nicht so schlimm vorgekommen wie jetzt. Die ersten zwei Jahre nachdem wir von Glasgow nach Edinburgh gezogen waren, hatte sie sogar einen Job bei einer Putzfirma gehabt. Schon nach Onkel Micks Abreise war es mit dem Trinken schlimmer geworden, aber als dann auch noch ihre Rückenprobleme dazukamen und bei ihr ein Bandscheibenvorfall diagnostiziert wurde, lief ihre Sucht endgültig aus dem Ruder. Sie kündigte ihre Stelle, und von da an mussten wir mit ihrer Erwerbsunfähigkeitsrente auskommen. Ich war damals fünfzehn Jahre alt. Um arbeiten zu dürfen, musste man sechzehn sein, und ein Jahr lang war unser Leben die reinste Hölle, weil wir nichts hatten außer der Rente und Mums dürftigen Ersparnissen. Eigentlich hätte Mum Sport treiben oder sich wenigstens ein bisschen bewegen sollen, um ihren Rücken zu stärken, doch stattdessen wurden die Schmerzen immer schlimmer, weil sie sich oft tagelang in ihrem Zimmer verkroch. Dort lag sie dann und trank und ließ sich immer nur phasenweise blicken, um übelgelaunt im Vollrausch vor dem Fernseher dahinzudämmern. Mit sechzehn brach ich die Schule ab und besorgte mir einen Job als Empfangsdame in einem Frisörsalon. Ich schuftete wie verrückt, damit wir irgendwie über die Runden kamen. Ein Gutes hatte die Arbeit immerhin: Auf der Schule hatte ich nie wirklich enge Freundinnen gehabt, aber beim Frisör schon. Nachdem ich irgendwo einen Artikel über das chronische Erschöpfungssyndrom CFS gelesen hatte, hatte ich endlich eine Ausrede für meine unflexiblen Verfügbarkeiten und dafür, dass ich zu bestimmten Zeiten zu Hause sein musste, um mich um Cole zu kümmern: Ich erzählte einfach allen, dass meine Mum an CFS litt. Da ich nur sehr wenig über diese ziemlich komplizierte Krankheit wusste, tat ich so, als würde mich das Ganze zu sehr aufwühlen, als dass ich darüber sprechen könnte. Das war allemal weniger beschämend als die Wahrheit.
    Ich sah meine Mutter durch halbgeschlossene Lider an. Eigentlich hätte die Wut in meinem Blick sich direkt durch sie hindurchbrennen müssen, doch sie zuckte mit keiner Wimper. Mum war früher eine schöne Frau gewesen. Von ihr hatte ich meine Größe, die schlanke Figur und die Haarfarbe geerbt. Aber jetzt, mit ihren schütteren Strähnen und der unreinen Haut, sah meine einundvierzigjährige Mutter aus wie sechzig.
    »Der Gin ist alle.«
    Ihr Mund zitterte. »Holst du mir neuen?«
    »Nein.« Das würde ich niemals tun, und ich hatte auch Cole streng verboten, Alkohol für unsere Mutter zu beschaffen. »Ich muss jetzt zur Arbeit.« Ich machte mich innerlich auf ihre Reaktion gefasst.
    Die kam auch prompt. Mum verzog vor Abscheu den Mund, und ihre blutunterlaufenen grünen Augen wurden schmal. Wie immer, wenn sie böse war, kam ihr Dialekt stärker zum Vorschein. »Kannst deiner eigenen Mutter nicht mal was zu trinken besorgen! Du faule Schlampe! Glaub bloß nicht, dass ich nicht weiß, was du machst. Du treibst dich rum. Machst für jeden Mann, der dich haben will, die Beine breit! Ich hab eine Hure großgezogen! Eine gottverdammte Hure!«
    Ich kannte die »gespaltene Persönlichkeit« meiner Mutter zur Genüge und trat den Rückzug an. Als ich in die Küche ging, um einen Handfeger zu holen, schlug mir aus dem Wohnzimmer Coles brodelnder Zorn entgegen. Mums Stimme wurde lauter, und sie spie mir immer wüstere Beschimpfungen hinterher. Als ich einen Blick zu Cole hinüberwarf, sah ich, dass er ein zerknülltes Stück Papier in der Faust hielt. Ich schüttelte den Kopf, um ihm zu verstehen zu geben, dass sie es nicht wert sei, sich aufzuregen, und kehrte dann in Mums Schlafzimmer zurück.
    »Was machst du da?« Sie unterbrach ihre Tirade für diese Frage, als ich in die Hocke ging, um die Scherben zusammenzufegen.
    Ich beachtete sie nicht.
    »Lass das liegen!«
    »Wenn ich es liegenlasse, schneidest du dich, Mum.«
    Gleich darauf hörte ich ein Wimmern und spürte die Veränderung, die in ihr vorging. Ich kannte sie lange genug, um zu wissen, mit welcher Seite ihrer Persönlichkeit ich es als Nächstes zu tun bekommen würde. Es gab nur
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher