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Lichtschwester - 8

Lichtschwester - 8

Titel: Lichtschwester - 8
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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in der Stadtschänke kennengelernt hatte, den waffenlosen Kampf übte. Schatten lagen wie Samt über dem Bett, in dem sie Degen mit einer anderen Frau dabei überraschte … seinem Namen in ganz anderem Sinne Ehre zu machen. Und Schatten lasteten über ihr, als sie dann mit ihrem treulosen Geliebten, Bubenstück um Bubenstück, um den Rang des Diebskönigs konkurrierte.
    Aus diesen Schatten, die ihr Bewußtsein verdunkelten, starrte ihr ein Schädel von unvergleichlichem, unergründlichem Opal entgegen, der seine fleischlosen, schillernden Kiefer aufsperrte und lachte und lachte und ihr laut zurief, daß er nie und nimmer zu erringen sei.
    Auf einem Felsen über dem Großen Fluß saß Nelerissa barhäuptig in der Herbstsonne und summte, unhörbar für jeden, ein Lied, das in aller Munde war - oder es gewesen war. Vor fünf Monden, bei ihrem Weggang aus der Stadt. Wahrscheinlich war es seitdem durch andere Balladen anderer Barden abgelöst worden und die durch andere und andere. Wie gerne hatte sie doch im Reichszentrum und nach seinem Herzschlag gelebt, die neuesten Lieder gehört, all die Märkte und Läden mit edlen Gewändern und Waffen, mit Kuriosa aus aller Welt durchstöbert. Schon in ihrer Jugend hatte sie sich gewünscht, in Areherna zu leben! Und sie war nach dem blutigen Sieg des Reichs, dem Untergang ihres Volkes nicht nur deshalb dorthin geeilt, weil es mit seinen über fünfzigtausend Einwohnern ja mühelos ein paar tausend Geächtete und Flüchtige aufnehmen konnte - sondern auch, weil es der Mittelpunkt der Welt war. Aber über dem geschäftigen Treiben der Stadt, dem Kampf ums Überleben und ihrer Karriere als Diebin hatte sie alles, was sie an ihrer Heimat so geliebt hatte, mehr und mehr vergessen.
    Nun, als sie auf dem Felsüberhang in der Nachmittagssonne saß und die Bäuerinnen und Bauern beobachtete, die ihre Gerste mähten und dabei irgendein uraltes Erntelied sangen, war ihr, als ob sie auf ihr längst untergegangenes Dorf schaue. Sie mochte dieses Gefühl.  
    Nicht, daß sie die harte Feldarbeit, das mühselige Leben in ihrem armen Dorf vermißt hätte - nach ihren Nordbergen sehnte sie sich mit einemmal so sehr.
    Der Weiler unterhalb der Felswand hieß Grathred und war der
Ort, der die Opalreliquie barg. Seinen Namen, seine Lage hatte sie
von der Kräuterhexe eines Dorfes am Fuße der Westberge erfah-
ren, bei der die Barbaren sie unter der Drohung zurückgelassen
hatten, im Fall ihres Todes, wovon ihr Schamane unfehlbar er-
führe, mit Feuer und Schwert wiederzukehren. Einen Monat lang
hatte Nelerissa dort im Fieber- und Zauberschlaf gelegen. Die
Hexe hatte sie aber erst ziehen lassen, als sie völlig genesen, wieder
zu Kräften gekommen war, und ihr auf ihre Auskunft, sie sei auf
Pilgerfahrt zu dieser gottgesandten, heiligen Reliquie, ohne Zö-
gern den Weg bis dorthin beschrieben.
    Sinnend blickte Nelerissa auf die Frauen und Männer von Grath-
red, die sich so auserwählt fühlten, daß sie die Götter sogar bei
der Arbeit lauthals priesen. Ja, die Gerstenernte fiel heuer sehr gut
aus - selbst für diese Julukelaregion, wo man dank der ergiebigen
Schneeschmelze und gelegentlichen Regenfälle in den Westber-
gen ja später und mehr erntete als andernorts im Reich. Was
Wunder also, daß die Leute hier glaubten …
  Aber die Meisterdiebin Nelerissa Grassamen wußte den wahren
Grund des unverhofften Segens: Es war der Glaube dieser Dörfler
selbst. Weil sie glaubten, göttliche Hilfe zu haben, arbeiteten sie
noch fleißiger, werteten jedoch die reichen Früchte ihres Fleißes
als neuen Beweis göttlicher Gunst - und legten noch mehr Fleiß an
den Tag, um sich dies Wohlwollen zu erhalten. Was die wirkliche
Hilfe der Götter natürlich erübrigte.
    Und sie sangen so froh und mähten so fleißig, daß Nelerissa sich
ganz sicher war: Der Opalschädel war noch im Dorf.
  Da ihr die Kopfhaut von der Sonnenhitze nun weh tat, stellte sie sich in den Schatten einer mächtigen, uralten Kiefer. Sie hüllte sich in den Umhang, den ihr die Kräuterfrau geschenkt hatte, zog dann, zum Schutz gegen die Sonne, die Kapuze hoch und setzte sich an den Felsrand, um das Dorf zu beobachten - und auf die Nacht zu warten.
    Ein Halbmond aus brennenden Wachskerzen stand hinter dem
einzigen anderen Objekt, das auf dem Altar zu sehen war. Und das
war, nach Größe, Form und allen Details, einschließlich der
stumpfen Zähne, ein Menschenschädel … Er war aber nicht aus
vergilbtem Knochen, sondern aus einem in
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