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Lichtjahreweit

Lichtjahreweit

Titel: Lichtjahreweit
Autoren: Thomas Ziegler
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stillschweigend hingenommen oder gar als unvermeidlich, quasi schicksalhaft akzeptiert. Nun hat die Gehirnforschung im Lauf der letzten Jahre Techniken entwickelt, bestimmte Gehirnzentren – wie das Lustzentrum – direkt zu reizen; andere Bewußtseinsmanipulateure bedienen sich des Umwegs über die Sinnesorgane, um Veränderungen der Gehirnströme und als Endziel Halluzinationen, Illusionen zu erzeugen – Stichworte sind Bio-Feedback, Fourier-Analysator und Brainscreening. Daß heutzutage die Illusionstechnologie noch in den Kinderschuhen steckt, ist kein Beweis dafür, daß es immer so bleiben wird; im Gegenteil. Früher oder später – und die meisten von uns werden es noch erleben – wird es physiologisch unschädliche Methoden der Bewußtseinsveränderung bis hin zur völlig real wirkenden Illusion geben. Sobald dies technisch machbar ist, wird die Illusionstechnologie ebenso vermarktet werden wie Hamburger, Homecomputer oder schwermetallhaltiger Kopfsalat. Wir sollten uns auf diese Dinge einstellen – besonders jene, die kreativ genug sind, Illusionen zu erdenken, um sie an ihre weniger phantasievollen Mitmenschen zu verkaufen, damit es ihnen nicht so ergeht wie dem Sensi-Schöpfer Andreas Bylla in der nachfolgenden Erzählung …
     
    Dieses Zittern …
    Andy Beh stand vor dem Waschbecken, vermied den Blick in den Spiegel, dieses gewalttätige Fenster in die Wirklichkeit der Gegenwart, und starrte seine zitternden Hände an. Das Zittern irritierte ihn. Und da war noch die Übelkeit und der Geschmack nach Zigaretten und schalem Wein in seinem trockenen Mund, und dann übergab er sich auch schon in den Spülstein, während automatisch trübes Chlorwasser aus dem Wasserhahn rann.
    KEIN TRINKWASSER! sagte die Emailleschrift über dem Spülstein, unter dem Spiegel. Nein, nicht hier oben, nicht für ihn.
    Andy Behs Herz raste währenddessen, zitterte im Takt seiner Hände, und ihm wurde schwarz vor Augen, so daß er sich am Waschbecken festhalten mußte.
    Teufel, Teufel, dachte Andy.
    Das Fenster war geöffnet und außer dem grauen Julilicht drangen Vogelrufe und das Gesumme des elektrischen Rasenmähers in das Zimmer.
    Teufel, Teufel! dachte Andy wieder. Er wusch sein Gesicht, und Tropfen fingen sich in den frischen Bartstoppeln, und seine Augen brannten, als sie mit dem Wasser in Berührung kamen: Chlor und Herbizide und Henkels Gruß an die Donau … Muß ich mir das bieten lassen? dachte Andy Beh. Wer bin ich denn überhaupt, daß ich mir das bieten lassen muß? Sein Zorn stieg wie jeden Morgen, wenn er sich in diesem Zustand befand, und er nahm sich sogar die Zeit, ans Fenster zu wanken und hinauszuäugen und auf den Gärtner zu spucken, der auf dem Sitz des Elektromähers hockte, über den Rasen kurvte und krumme Linien in den grünen Teppich fräste.
    »Was soll eigentlich dieser Scheißlärm?« schrie Andy dem Gärtner zu. »Ich habe ein verdammtes Recht auf meine Ruhe, hören Sie, und ich lasse mich nicht so behandeln, vor allem nicht von Ihnen, damit das mal klargestellt ist. Von Ihnen auf keinen Fall!«
    Der Gärtner lachte und winkte und warf das Steuer herum, daß der Elektromäher fast auf die Seite stürzte, und setzte dann an zum Endspurt, der ihn bis weit nach hinten zu der einsamen Ulme vor der Betonmauer tragen würde, ein Elektrojockey, der beim Rennen Gras vertilgte … Andy Beh schmetterte das Fenster zu. Das Summen wurde leiser, aber es verstummte nicht ganz, und Andys Herz klopfte noch immer heftig in seiner Brust. Hinzu gesellte sich der Durst, diese Wüstentrockenheit, die ihn schwindeln ließ, und er schwor sich, heute nur – nun ja – höchstens bis zum frühen Nachmittag zu trinken und um fünf die letzte Flasche zu leeren und dann schlafen zu gehen, um …
    Unter ihm klopfte es.
    Ein Stock schlug ungeduldig gegen den Boden, und den Stock hielt Eugen Friedrich Langedanz in der Hand, der schicke Eugen von Pforzheim-Süd, dem die Gicht in den Rücken und in die Hoden gefahren war, dem Schrecken aller Jet-Set-Partys der Goldenen Achtziger, der auf den Frühlingsbällen des Bundeskanzlers das Marihuana salonfähig gemacht hatte – der Kanzler und der Außenminister stoned in Langedanz’ aufblasbarem Separee, und all die unsäglichen Dinge, die des Kanzlers Sekretärin erdulden mußte … Aber wen interessierte das heute schon – wer wußte schon, daß der schicke Eugen damals den Zuschlag bei der Ausschreibung der Laser-Stellungen um Bonn-Bad Godesberg erhalten hatte …
    »Leck
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