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Legenden d. Albae (epub)

Legenden d. Albae (epub)

Titel: Legenden d. Albae (epub)
Autoren: Markus Heitz
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berühren, nur eine einzige! Doch gerade sie würde sein Schaffen vollkommen machen. Vollkommen und unnachahmlich. Behutsam entfernte er denVerschluss und sah das Dunkelgelb aufleuchten. Sinthoras schauderte, ergriff einen dicken Pinsel und blickte erwartungsvoll und ungeduldig zugleich zum Seelenberührer.
    Helòhfor hatte den Koffer geöffnet und sein Instrument herausgenommen. Der Korpus war aus einem Rückgrat gefertigt worden, die Wirbel mit Silberelementen aneinandergefügt. Ventile saßen darauf, über dünne Drähte teilweise miteinander verbunden. Verschiedene Bohrungen waren in die Knochenstücke getrieben worden. Der Alb nahm weitere Teile heraus, metallische, gläserne, knöcherne, und steckte sie unter leisem Murmeln in Bohrungen; schließlich goss Helòhfor eine bräunliche Flüssigkeit in ein bauchiges Gefäß und schraubte es an das Ende des Wirbelkorpus.
    Auch wenn Sinthoras jeden Handgriff des Seelenberührers verfolgte, entging ihm nicht, wie genau die Teile des Instruments ineinandergriffen. Ohne eine lange Unterweisung durch einen Meister vermochte kein Alb und schon gar kein anderes Wesen darauf zu spielen. Die Flüssigkeit, so sagte man, sei die Essenz aus dem Gehirnwasser vieler Toter, in dem all deren Träume und Gedanken steckten. Durch die Schwingung der Töne entfalteten sie ihre Macht und wirkten auf den Verstand des Zuhörers ein.
    »Empfangt die treibende Macht der Toten und des Todes selbst, Sinthoras. Samusin schütze Eure Seele«, raunte er und setzte die Lippen an das Mundstück. Sanft legten sich seine Fingerkuppen auf die Klappen.
    Helòhfor blies sachte hinein, und ein schriller Ton schwoll an. Die Flüssigkeit brodelte zaghaft, dann immer heftiger, als würde sie gekocht. Dampf stieg auf, den Sinthoras in den gläsernen Elementen wirbeln sah. Durch Helòhfors Spiel schienen gleich mehrere Luftströme auf einmal in das Instrument gezogen zu werden und hohe, unpassende Töne gleichzeitig zu erschaffen.
    Sinthoras’ Härchen auf den Armen und im Nacken richteten sich auf, und ein gleißender Schmerz stach ihn hinter denAugen, blendete ihn. Keuchend hielt er den Qualen stand. Plötzlich veränderten sich die Laute und wurden zu einer wundersamen Melodie.
    Energie jagte durch seinen Körper, ausgesandt von seinem Kopf, und er sah seinen Finger von blauem Licht umfangen. Der Ostwind streichelte seine Züge und hauchte ihm die Inspiration ein, die er benötigte.
    Sinthoras sah sich selbst zu, wie er den Pinsel in das Gefäß tunkte, die Borsten sich vollsaugen ließ und die Hand dorthin führte, wo es passend erschien. Das Göttliche lenkte ihn, seine Seele und den Ostwind zu den überirdischen Klängen.
    Langsam glitt die feine Spitze des dicken, bauschigen Pinsels über die Leinwand und hinterließ auf der finsteren Grundierung eine dunkelgelbe, gerade Linie, die dünn und dünner wurde. Sinthoras hörte das leise reibende Geräusch, mit dem sich der Rest der Farbe auf den Untergrund übertrug.
    Die Farbe glich einer Mischung aus geschmolzenem öligem Gold mit einem Hauch schwarzem Tionium; sie schimmerte metallisch, und doch steckte Leben in diesem außergewöhnlichen Dunkelgelb. Flüssig gewordene Lebendigkeit mit bedrohlicher Strahlkraft.
    Die Härchen zuckten mit einer schwungvollen Bewegung nach rechts und wurden dann ruckartig zurückgezogen. Der Strich war dabei schwächer geworden und abgerissen.
Unvollständig
!
    Aber Sinthoras wusste, was dem Werk noch fehlte.
    Er sah es vollendet vor sich und hörte schon, wie sein Name dafür voller Neid, voller Anerkennung und Bewunderung von anderen ausgesprochen wurde.
    Die Pinselspitze schwebte hinüber zu einem Tiegel, fuhr hinein und wurde zurückgezogen. Nur ein verschwindend geringer Rest der einmaligen Farbe haftete daran.
    Zu wenig
!
Sinthoras’ harmonischer Zustand erhielt einen Riss, eine klaffende Wunde, aus der seine Eingebung strömte und verging.
Zu wenig
!
Nun geriet sein Bild in Gefahr. »Raleeha!«, gellte sein Ruf zur halb geöffneten Zimmertür hinaus.
    Zu seinem eigenen Erstaunen folgte seine Seele der Stimme, als schleudere er sie von sich, während sein Leib an der Staffelei verharrte.
    Sein Ruf flog durch den Gang, an dessen Steinholzwänden Gemälde voll düsterer Schönheit hingen, und drang durch das kunstvoll geschnitzte Holz eines zweiflügeligen Portals, auf dem eine Schlachtenszene verewigt worden war.
    Weiter sah er nicht.
    Die rechte Hälfte des Portals wurde aufgestoßen. Eine hochgewachsene, junge
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