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Lebensbilder II (German Edition)

Lebensbilder II (German Edition)

Titel: Lebensbilder II (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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wieder ihr Gerüst erbaut, um ihre Beobachtungen durch die Spalte fortzusetzen, als die Monsaurin ganz leise wieder eintrat, so daß jene nichts merkte. Die Monsaurin hustete endlich. Ginevra erschrak, errötete über und über und beeilte sich, eines Vorwandes halber, den Fenstervorhang gänzlich niederzulassen, aber schon war ihre Feindin wieder verschwunden. Unwillig verließ sie das Gerüst, ordnete alles wieder und ging. Sie hatte noch einmal den schönen Schläfer belauscht. – Wer mochte er sein? – So jung und schon geächtet. – Hat die Monsaurin mich belauscht? – Hat meine ungezähmte Neugier den Ärmsten verraten? Diese Gedanken beunruhigten sie an diesem und an dem folgenden Tage und blieben die einzigen, deren sie fähig war.
    Am dritten Tage konnte sie endlich das Atelier wieder besuchen, aber so sehr sie sich auch beeilt hatte, die erste zu sein, die Monsaurin, um ihr den Rang abzugewinnen, war hingefahren. Beide Mädchen beobachteten sich schweigend, ohne einander zu erraten. Die Monsaurin hatte ebenfalls durch die Spalte geguckt, den Kopf des schlafenden Jünglings gesehen, aber ein günstiger Zufall wollte, daß der Adler und die Uniform der Lauscherin nicht sichtbar wurden, und sie erschöpfte sich über das Gesehene in fruchtlosen Vermutungen.
    Die übrigen Damen fanden sich ebenfalls nach und nach ein, zuletzt erschien auch Herr Servin.
    »Mademoiselle!« fragte er Ginevra sogleich, »warum sitzen Sie dort? Sie haben kein gutes Licht!« – Er begab sich hierauf zu Laura und korrigierte ihre Arbeit. »Wahrhaftig,« sprach er, »Sie haben Anlagen und können noch einmal eine zweite Ginevra werden.« – Er ging von einer Staffelei zur andern, erteilte Lob und Tadel, besserte und scherzte, doch so, daß man mehr seinen Scherz, als seine Vorwürfe zu vermeiden, Ursache fand.
    Während der Zeit entwarf Ginevra auf einem Blättchen Papier den Kopf des Schläfers und führte ihn in Sepia aus. Seine Züge hatten sich ihr tief eingeprägt, ihr Wohlwollen lieh denselben eine eigne Vollkommenheit und Idealität. In unglaublich kurzer Zeit entstand ein kleines Meisterstück, in welchem Lust und Liebe den genialsten Eingebungen der Begeisterung gleichgekommen war. Ginevra halte vollendet, ohne aufzusehen, und hatte daher auch die feindselige Lorgnette der Monsaurin nicht gemieden, welche in der bedeutenden Entfernung den schönen Schläfer nur allzugut wiedererkannte.
    »Sind Sie immer noch hier?« fragte Servin, da er endlich auch zu Ginevra trat.
    Ginevra stellte sich vor ihre Staffelei, legte das getuschte Bild auf das Ölgemälde und sprach: »Sehen Sie, Herr Servin, Ginevra hat besseres Licht, als Sie denken.« Servin stand betroffen vor dem enthüllten Geheimnis und überrascht vor dem Kunstwerke; aber der Kunsteifer gewann bald die Oberhand, und er rief aus: »Ja, mein Fräulein, wie Sie auch dahintergekommen sein mögen, das ist ein Meisterstück.« Bei diesen Worten erhoben sich alle Damen und drängten sich um die Staffelei. Ginevra aber hatte die Zeichnung rasch entfernt und verbarg sie in ein Portefeuille, während Servin, um seine Übereilung gutzumachen, die Schönheiten der Kopie Ginevras den jungen Damen anpries. Nur die Monsaurin ließ sich nicht täuschen, und um Ginevra es fühlen zu lassen, langte sie nach dem Portefeuille, das diese aber zu sich nahm und vor sich hinlegte.
    »An die Arbeit, meine Damen,« sprach Servin, »um es eben so weit zu bringen, dürfen Sie nicht Moden und Bälle stets im Munde führen, sondern müssen sich hübsch wacker dran halten.«
    Man gehorchte ihm, er aber blieb bei Ginevra, die ihm leise sagte:
    »Besser ist's, ich habe diese Entdeckung gemacht als irgendeine andere dieser Damen.
    Der Maler erwiderte: »Ja! denn Ihnen darf ich trauen.«
    »Wer ist's?« fragte Ginevra dreist.
    »Ein treuer Freund Labedoyères. Er und der unglückliche Obrist haben das meiste zur Vereinigung des 7ten Regiments mit den Grenadieren von Elba getan; er focht auch zu Waterloo als Eskadrons-Chef in der Garde.«
    »Warum ist seine Uniform mit den kaiserlichen Adlern nicht verbrannt? warum hat er keine bürgerliche Kleidung?« fuhr sie lebhaft fort.
    »Er erhält sie heut!«
    »Sie hatten das Atelier für diese kurze Zeit schließen sollen. Sehen Sie nur, wie die Monsaurin herlorgnettiert.«
    »Er wird abreisen.«
    »Wohin, um Gottes willen?« rief Ginevra. – «Verbergen Sie ihn doch nur in der ersten Schreckenszeit. Nur in Paris ist ein Geächteter sicher. – Ist es Ihr
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