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Lebe deine eigene Melodie

Lebe deine eigene Melodie

Titel: Lebe deine eigene Melodie
Autoren: Irmtraud Tarr
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wegstrampeln. Eine Frau beschrieb es sarkastisch: »Häßlich, dusselig und vertrocknet.« Diese Veränderungen erzählen aber nicht die ganze Geschichte, denn älter werden ist weit mehr als die dunkle Ahnung »von jetzt an geht es bergab«. Dennoch ist der Verlust körperlicher Attraktivität selbst für diejenigen, die ihre Identität nicht unbedingt auf äußere Schönheit setzen, eine der häufigsten Klagen. Natürlich ist der alternde Körper eine »narzisstische Kränkung«. Es gibt wohl kaum jemanden, der nicht hin und wieder von Trauer und Schmerz darüber befallen wird, wie die Gesetze der Schwerkraft an Haut und Haaren ihre Spuren hinterlassen. Zumal wir alle irgendwie denken, jung sein heißt schön sein – strahlende Augen, leuchtende Haut, glänzende Haare – und Spaß haben. Außerdem kränkt es zu realisieren, dass wir Menschen weniger attraktiv altern als der Rest der Schöpfung. Ich habe noch nie eine Katze oder einen Hund gesehen, die sich zuspachteln mussten, die ein Face-lifting oder eine Schönheitsoperation benötigt hätten.
    Mein Eindruck ist, dass sich hinter dieser Kränkung aber noch etwas anderes verbirgt. Es geht um die Angst, nicht mehr beachtet, nicht mehr gesehen, und damit unsichtbar zu werden. Die »unwiderstehlichste aller Drogen« sei die Aufmerksamkeit der anderen, sagt der Professor für Architektur und Raumplanung Georg Franck. In der Tat, was beflügelt mehr als die wohlwollende Zuwendung anderer, was wärmt mehr als ihre einfühlsame Anteilnahme? Gibt es Menschen, die keine Beachtung brauchen? Kaum. Beachtung ist lebensnotwendig und nicht nur die Angelegenheit eitler, bedürftiger, gefallsüchtiger Menschen. Sie betrifft uns
alle, vor allem, wenn wir älter werden, weil unser Lebensgefühl, unsere Daseinsbestätigung davon abhängen.
    Ohne dieses Lebenselixier können wir nicht leben. Deswegen sehe ich in der Klage um die Attraktivität eine Projektion der Angst, die als Reaktion auf den Beachtungsverlust zu verstehen ist. Also investiert man in den Blick der anderen. Man will den Blick, und man erwartet etwas zurück, ähnlich wie die Rendite bei der Bank: Beachtung und Behagen. Vielleicht sogar die Antwort auf die bange Frage: Ist es für mich noch nicht zu spät? Zwar ist dieser überstrapazierte Slogan »Man ist so alt, wie man sich fühlt« irgendwie richtig – heute 30, morgen 65 – aber er greift zu kurz. Es gibt Bereiche, da unterscheiden wir uns kaum von einer Jugendlichen, einer Dreißigjährigen, einer Vierzigjährigen. Man braucht es nicht einmal unbedingt zu betonen. Wir haben mit vielen Altersstufen Gemeinsamkeiten. Aber in diesem Lebensabschnitt geht es um mehr als um pures Mithalten. Es geht darum, selbst zu bestimmen, wer und wie wir sein wollen. Es geht um die Versöhnung mit den verschiedenen Parteien, die in uns um die Vorherrschaft kämpfen. Intellekt gegen Gefühl, Vernunft gegen Herz, Verstand gegen Instinkt. Die einzige Instanz, die diese widerstreitenden Parteien miteinander versöhnen und vereinen kann, lässt sich mit dem unübersetzbaren, einzigartigen Begriff »Seele« bezeichnen. Seele ist das, was wir letztlich nicht benennen können, wofür bisher noch kein besserer Begriff gefunden wurde. Ich meine damit die Chiffre, die für unsere Einmaligkeit steht, die Geist, Herz und Gefühl verschmelzen lässt. Wir spüren, was gemeint ist, wenn jemand sagt: »Sie sieht perfekt aus, aber sie wirkt seelenlos.« Eine schöne Seele – in diesem Wort schwingt so vieles mit, was mit Ausdruck und Eindruck, mit Leben und Sterben, mit Glück und Trauer zusammenhängt. Was gibt es Schöneres, als eine Frau oder
einen Mann, die oder der mit ganzer Seele in ihrem/seinem Tun aufgehen, sich hingeben und dabei über sich selbst hinauswachsen? Sie sind dort, wo ihr wahrer Platz ist. Sie sind eins mit sich, weil sie ihr kleines Ich aus den Augen verlieren. Ihnen gelingt es, Energien freizusetzen, die nicht mehr besessen sind von Anpassungs- und Gefallzwängen. Gefallen oder nicht gefallen können/wollen/müssen, ist für sie geradezu lächerlich oder zumindest unwichtig, weil sie mit sich ein Leib und eine Seele sind.
    Wer mit sich »ein Leib und eine Seele« ist, und in seinem Körper wohnt, statt ihn nur zu strapazieren und zu dekorieren, dem fällt es leicht, einzusehen, dass man nicht unbedingt eine Figur wie ein Windhund haben muss, um sich zugehörig zu fühlen. Seit das Brausen der Hormone im Gehirn leiser geworden ist, lebt man ohnehin mehr bei Sinnen und
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