Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Laufend loslassen

Laufend loslassen

Titel: Laufend loslassen
Autoren: Gerhard Mall
Vom Netzwerk:
sogar morgen früh das Zelt nass und ich muss bei Regen los - kurz, ich beginne im Morgen zu leben und mir Sorgen zu machen. Als ich es merke, tue ich mir schon wieder etwas Gutes an diesem Tag. Ich lasse die Sorgen los. Dann setze ich mich in ein Straßencafe, schreibe meine Tagesnotizen fertig und lausche dem Trommeln des Regens auf der Plane, unter der ich Schutz gesucht habe. Gerade bin ich fertig, da kommt die Bedienung. Ich tue mir noch ein Gutes und bestelle ein Bier. Es regnet Blasen. Mir fällt ein Ausspruch meines Großvaters ein: „Wenn es Blasen regnet, regnet es drei Tage.“ Wie auch immer. Heute war ein schöner Tag, ich sitze im Trockenen und das Bier schmeckt gut.
     

Donnerstag, 31. Mai
    Unruhig geschlafen, fast gefroren. Meine Hüfte tut weh. Ich hoffe, dass es besser wird. Es ist wolkenverhangen, ein paar Tropfen fallen. Der gewaschene Pullover ist noch klitschnass und entsprechend schwer. Als ich mit dem Zeltabbau fertig bin, entdecke ich einen Wäschetrockner in den Sanitäranlagen und nutze die Gelegenheit. Draußen fängt es kräftig an zu regnen. Während die Wäsche getrocknet wird, lade ich die Batterien meiner Digitalkamera an der Steckdose für die Bügeleisen auf. Als alles fertig ist, hat der Regen aufgehört.
    Heute läuft es zäh. Die Schultern tun weh, die Füße auch. Ich habe mir vorgenommen, trotzdem zwei Stunden zu laufen bis zur ersten Rast. Der Chemin de Compostelle führt zunächst über Ortsverbindungsstraßen, dann wird er zum Feldweg. Meist feucht und matschig. Kaum ein Platz, der zum Rasten geeignet wäre. Kurz vor Ablauf der zwei Stunden wieder Asphalt und ein kleiner Abzweig, wo ich mich setzen kann, zur rechten Zeit. Nach einer Dreiviertelstunde fängt es an zu regnen. Ich hole die Regenjacke heraus, spanne die Plastikhülle über den Rucksack und schwitze nach kurzer Zeit wie wild beim Laufen. Nach Überquerung der Hauptstraße Macon-Digoin, die ich auch schon oft gefahren bin, geht es nicht mehr. Der Regen lässt nach, in einem offenen Schuppen ziehe ich die Jacke wieder aus.
    Als ich gerade wieder weiterwill, fängt es wieder heftig an. Ich finde einen Stuhl in dem Schuppen und beschließe, erst einmal zu warten. „Wenn ich so weitermache.“, denke ich belustigt, „komme ich nie nach Santiago de Compostela.“ Was tun? Regenjacke an und schwitzen oder im T-Shirt laufen und nass werden? Ich entschließe mich zu Letzterem. Als ich schließlich tropfnass bin, finde ich Zuflucht in einem Schuppen für landwirtschaftliche Geräte. Es ist kurz vor vier Uhr und ich schlafe fast auf dem Balken ein, auf dem ich sitze. Die Regenjacke habe ich über das nasse T-Shirt angezogen, weil ich an trockene Kleider jetzt schlecht herankomme.
    Als ich nach einer Viertelstunde aufstehe, kann ich kaum mehr gehen. Wo werde ich heute Unterkunft finden? Mein Konzept sagt: „Zelten! Irgendwo, vielleicht in St. Point.“ Mein Körper und meine Seele sehnen sich nach einer schönen Übernachtungshütte mit einem bequemen Bett, und vor allem trocken. Während ich wieder weitergehe, die Schritte kommen nach und nach besser in Gang, sehe ich ein grünes Schild: „Gite d’etape.“. Der Weg steigt noch an, aber fast auf der Anhöhe zweigt vom Jakobsweg ein Sträßchen ab nach Champs de Brand - Gite d’etape. Da also geht es zur Wanderherberge. Mein Konzept gibt auf. Ich tue mir wieder etwas Gutes. Ein freundlicher Landwirt empfängt mich, bereitet das Bett vor, macht mir die Heizung an und zeigt mir den Tee. Ich ziehe trockene Sachen an, verteile die nassen auf die Heizungen und freue mich. Ich habe richtig entschieden. Das Häuschen ist gemütlich, ich habe es ganz allein für mich und trinke bald heißen Tee. Draußen gießt es in Strömen. Gegen 20 Uhr taucht plötzlich Bernhard auf. Er hat die Strecke von Taizé bis hier in einem Tag geschafft. Wir haben einen guten Abend miteinander, erzählen einander vom Motiv unseres Pilgerns, genießen Brennnesselsuppe, Ziegenkäse und Wein, die uns unser Gastgeber auftischt.
     

Freitag, l.Juni
    Aufwachen um sieben Uhr. Draußen regnet es. Duschen, Frühstück bereiten. Draußen gießt es. Wir ziehen das Frühstück in die Länge. Wir packen, räumen auf. Schließlich ist es kurz nach zehn Uhr. Draußen kein Regen mehr. Ich laufe zuerst los und glaube, dass Bernhard mich bald einholen wird. Aber es dauert doch fast eineinhalb Stunden, bis er kommt. Ich bin gerade dabei, einen Fusselknoten an einer Socke wegzuschneiden. Wehret den Anfängen für
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher