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Lamento

Titel: Lamento
Autoren: Maggie Stiefvater
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gegangen war, sah ich Luke an und biss mir auf die Lippe. »Ex-Freundin?«, fragte ich schließlich.
    Lukes Augen weiteten sich, und er lachte. »Das«, sagte er, »würde ich meinem ärgsten Feind nicht wünschen. Nein. Erinnerst du dich an dieses Märchenbuch, in dem Delia vorkommen würde? Genau da gehört Eleanor auch rein. Als eine Art böse Taufpatin oder so was.«
    Ich entspannte mich. Eigentlich dürfte ich Luke nicht auf diese Weise betrachten, weil ich ihn erst so kurz kannte. Trotzdem war mir die Vorstellung, Eleanor könnte meine Konkurrentin sein, ziemlich an die Nieren gegangen.
    »Böse Patentante ist viel besser als Ex-Freundin.«
Was macht dich nur so anders, Luke, dass es mich einen feuchten Dreck kümmert, ob sie deine Ex-Freundin ist oder nicht?
    Luke sah mich an. »Ach ja?«
    Ich wandte den Blick ab und nickte schüchtern. »Ja.«
    Erst jetzt registrierte ich die dröhnende Stimme, die aus den Lautsprechern im dritten Zelt drang. »Der zweite Platz im Solo geht an Carmen Macy.« Hinter uns war höflicher Applaus zu hören.
    Schweigend gingen wir zu Mom hinüber und blieben stehen, als wir merkten, dass sie mit jemandem sprach und sogar Delia ausnahmsweise verstummt war.
    »… sie heute Abend spielen gehört und wollte Ihnen nur sagen, dass ich von ihrem Talent ganz hingerissen bin. Sie und ihr Freund gehören genau zu den jungen Leuten, die wir suchen. Hier ist meine Karte, und bitte rufen Sie uns an.«
    Ich betrachtete den Mann. Seine Stimme war recht angenehm, passte aber überhaupt nicht zu seinem Äußeren, das an einen fiesen Schläger erinnerte. Sein Button-down-Hemd mit den langen Ärmeln konnte seine muskelbepackten Oberarme und die kräftige Brust nicht verbergen, und er sah nicht einmalansatzweise so aus, wie ich mir den Vertreter einer Musikhochschule vorgestellt hätte.
    »Der erste Preis in der Kategorie Ensemble geht an Andrew Manx, Tina Chin …«, plärrte der Lautsprecher, doch Moms Stimme erschien mir noch lauter. »Ja, danke. Wir werden es uns überlegen.«
    Der Muskelprotz nickte mir kurz zu, ehe er sich wieder an Delia und Mom wandte. »Tja, ich weiß, dass Sie einen langen Tag hinter sich haben, also lasse ich Ihnen jetzt Ihre wohlverdiente Ruhe. Der Hauptpreis müsste bald verkündet werden, stimmt’s? Einen schönen Abend noch.« Er wandte sich zum Gehen.
    Mom wechselte einen Blick mit mir, ehe sie Delia ansah.
    Hinter uns wurde erneut geklatscht, als weitere Preise verlesen wurden. Erstaunlicherweise war es mir ziemlich egal, ob ich irgendetwas gewann oder nicht. Der Wettbewerb erschien mir so unbedeutend – so gewöhnlich – im Vergleich dazu, dass ich hier neben Luke stand und auf eine Visitenkarte blickte, die uns der Mann vom Konservatorium hinterlassen hatte.
    »Thornking-Ash«, las Delia laut und rümpfte die Nase. »Das klingt nach einem Beerdigungsinstitut.«
    Ich zog ebenfalls die Nase kraus, aber deshalb, weil mir derselbe Kräuterduft wie vorhin in die Nase stieg. War dieser Freak etwa noch hier?
    »Ich fürchte, ich muss früher gehen. Ich glaube, ich muss jetzt gleich gehen«, hörte ich Luke neben mir sagen.
    Ich wollte gerade protestieren oder ihn schamlos um seine Telefonnummer bitten, als ich bemerkte, dass der Applaus verebbt war und erwartungsvolle Stille herrschte. »Meine Damen und Herren, es ist sechs Uhr, und wie versprochen verkünden wir nun die Gewinner des Hauptpreises«, drang die Stimme aus dem Lautsprecher. »Wir danken allen Teilnehmern, dieuns heute mit ihrem Talent erfreut haben. Die Jury möchte den Siegern des diesjährigen Musikfestivals gratulieren – Deirdre Monaghan und Luke Dilling!«
    Luke flüsterte mir ins Ohr, so nah, dass seine Lippen mein Haar streiften: »Sag mir, dass du mich wiedersehen willst.«
    Ich lächelte.

Drei
     
     
     
     
     
    He, Psycho, was gibt’s Neues?«
    Das Telefon am Ohr, ließ ich mich wieder aufs Bett fallen.
    »Nichts Besonderes.«
    »Du klingst verschlafen.«
    Mein Blick fiel auf den Wecker auf meinem Nachttisch, und ich stöhnte. »James, es ist nicht ernsthaft zehn Uhr, oder?« Er brauchte nicht zu antworten. Der grelle Sonnenschein, der durch meine weißen Vorhänge fiel, verriet mir, dass es tatsächlich schon so spät war.
    »Ich habe mal gehört«, sagte James, »dass introvertierte Menschen nach belastenden Begegnungen mit anderen Leuten viel Schlaf brauchen.«
    Ich setzte mich auf. »Das stimmt.« Es stimmte aber auch, dass ich gestern viel zu lange nicht hatte einschlafen können –
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