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Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport

Titel: Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport
Autoren: Renate Hartwig
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Republik. Das sind vor allem die Menschen, die krank sind und plötzlich entdecken, welchen teilweise völlig abstrusen politischen Rahmenbedingungen sie ausgeliefert sind. Dieser Tage wieder begegnete ich einer jungen, hübschen, modernen Frau, die von heute auf morgen aus einer Topstellung im Bildungswesen gerissen wurde, weil sie Opfer eines Unfalls wurde und sich quasi über Nacht im Rollstuhl wiederfand. Alles in ihr rebellierte gegen dieses Schicksal. Sie hatte nur einen Wunsch: Trotz ihrer Behinderung wollte sie so schnell wie möglich wieder ihren Job aufnehmen. Statt sinnvollen, praktischen, pragmatischen Beistand zu erfahren, wie sie ihn unmittelbar nach dem Unfall von Pflegern und Ärzten übrigens auf überwältigend positive Weise erlebt hatte, fand sie sich plötzlich in einem Krieg vor – einem absurden Stellungs-, Busch- und Kleinkrieg mit der Krankenkasse, dem Versorgungsamt und vielen anderen Dienststellen. Über Wochen hin wurde eine Art Papierblockade um sie herum errichtet. Sollte sie kuschen, tricksen, Widerstand leisten, protestieren, drohen, vorgesetzte Dienststellen einschalten? Um das Nötigste musste sie förmlich betteln, was sie als entwürdigend empfand, weshalb sie verschiedene Hilfsmittel, die ihr dem Papier nach zustanden, kurzerhand aus der eigenen Tasche bezahlte. Andererseits wurde sie mit Leistungen überhäuft und mit bürokratischer Gewalt zur Annahme therapeutischer Maßnahmen gezwungen, die sie gar nicht brauchte. Das Fazit dieser klugen und aktiven Frau: »Manchmal bin ich in Tränen ausgebrochen, nicht weil es mir so schlechtging (ich bin hart im Nehmen). Nein, weil sie es einfach mit mir machten!«
    Hoffentlich versteht diese Frau (und hoffentlich verstehen immer mehr Menschen), dass es hier nicht mehr um eher zufällige, daher reparable Struktur- und Funktionsmängel des Gesundheitssystems geht. Nein, dieser Krieg hat Methode. Das Bombardement an Formblättern ist nur eine Waffe, die von den Kassen gezielt gegen die belastenden Kostenfaktoren, nämlich die Kranken, Alten oder Behinderten eingesetzt wird. Den treusorgenden Plakaten der Kassen glauben die wirklich Kranken immer seltener. Die haben ihre Schlachten geschlagen. Und wehe dir, du hast keinen, der dir hilft, oder du hast keine Kraft mehr, um selbst für dein Recht einzutreten. Oder du bist vielleicht nur ein einfacher Mensch, dem der virtuose Umgang mit Formularen nicht in die Wiege gelegt wurde!
    Systemopfer sind aber auch die Ärzte, die sich für diesen Beruf entschieden haben, weil sie es lieben, Menschen zu helfen, ihre Krankheiten zu heilen, und wenn ihnen dies einmal nicht gelingt, Leiden zu lindern. Sie fallen genauso durch das Raster der seelenlosen, profitgeilen Konzernmedizin wie der Kranke, der für die Kostenrechner des Systems keinen Gewinn bringt.
    Noch ein paar denkwürdige Zahlen gefällig zur allgemeinen Klage, unser Gesundheitssystem sei quasi pleite? Das Gesundheitsministerium ließ uns noch 2009 wissen, die Krankenkassen hätten im Moment einen gutgefüllten Sparstrumpf! Die Rücklagen, hieß es, belaufen sich auf 4 bis 5 Milliarden Euro. Nach den letzten Zahlen hat die gesetzliche Krankenversicherung im Jahr 2008 insgesamt einen Überschuss von 1,4 Milliarden Euro erwirtschaftet! Nicht zu vergessen: Dieses Geld fiel nicht vom Himmel; es stammt alles von unseren Beitragsgeldern. Bereits am 4. Juli 2009 meldete www.1A-Krankenversicherung.org/nachrichten: Allein die Barmer Ersatzkasse ( BEK ) gab im ersten Halbjahr 2009 knapp 4 Millionen Euro für Werbung aus, das sind 83 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Die Allgemeinen Ortskrankenkassen ( AOK ), die sich jetzt Gesundheitskassen nennen, investierten mit 9,44 Millionen Euro 28 Prozent mehr in Werbemaßnahmen. Bei der Deutschen Angestellten-Krankenkasse ( DAK ) gab es eine Steigerung der entsprechenden Ausgaben um 36 Prozent auf 2,44 Millionen Euro. Die Kosten für die Werbung der Techniker Krankenkasse ( TK ) stiegen nur leicht auf knapp 900 000 Euro. Den Vogel aber schoss die KKH -Allianz ab. Dort wurden die Werbemittel von 293 000 Euro im ersten Halbjahr 2008 auf sage und schreibe 2,44 Millionen Euro aufgestockt!
    Diesen Zahlen gegenüber stehen Ordner voll mit Beweisen, in denen Kranke von ihren Kassen abgewiesen werden, wenn es um eine vom Arzt notwendig erachtete Behandlung, Heil- oder Hilfsmittel, Medikamente oder Therapien ging oder geht. Seit langem laufen die Strategien der Kapitalgesellschaften, diese unsere Gelder in ihre
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