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Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)

Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)

Titel: Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)
Autoren: Jo Nesbø
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»Eclipse« verklingt mit dem Gesang von David Gilmour.« Der Mann spitzte die Lippen, ehe er in ein derart manieriertes Englisch wechselte, dass Aune förmlich vor sich sah, wie er sein Teetässchen mit abgespreiztem kleinem Finger an die gespitzten Lippen führte. »And everything under the sun is in tune but the sun is eclipsed by the moon . «
    »Und das träumen Sie?«
    »Nein! Das heißt, doch. Also, auch die Platte hört so auf. Optimistisch. Nach einer Dreiviertelstunde Tod und Wahnsinn. Wahrscheinlich soll man denken: Ende gut, alles gut. Alles wieder in bester Harmonie und Ordnung. Aber dann, ganz am Ende des Albums, hört man im Hintergrund eine Stimme murmeln. Ganz leise. Man muss die Lautstärke richtig aufdrehen, um die Worte verstehen zu können, aber dann hört man sie richtig deutlich: There is no dark side of the moon, really. Matter of fact, it’s all dark. Alles ist dunkel. Verstehen Sie?«
    »Nein«, sagte Aune. Laut Lehrbuch hätte er jetzt fragen müssen, ob es ihm wichtig wäre, dass er ihn verstand, aber er konnte sich nicht dazu aufraffen.
    »Das Böse gibt es nicht, weil alles böse ist. Der Weltraum ist dunkel. Wir sind von Natur aus böse. Das Böse ist der Ursprung, das Natürliche. Aber manchmal, manchmal gibt es irgendwo ein bisschen Licht. Nur dass das nur vorübergehend ist. Wir müssen alle zurück ins Dunkel. Und genau das passiert in meinem Traum.«
    »Reden Sie weiter«, bat Aune, drehte seinen Stuhl um und sah nachdenklich aus dem Fenster. Er war diesen Patienten so leid, diese Mischung aus Selbstmitleid und Selbstzufriedenheit. Der Mann erachtete sich allem Anschein nach als einzigartig, ein Ansatzpunkt, in den man sich als Psychologe richtiggehend verbeißen konnte. Er hatte ganz sicher schon einmal eine Therapie gemacht. Aune sah einen Knöllchenjäger breitbeinig wie einen Sheriff unten über die Straße laufen und fragte sich, zu welchen anderen Berufen er, Ståle Aune, sich eignen würde. Die Antwort lag auf der Hand. Zu keinem. Außerdem liebte er die Psychologie und navigierte nur allzu gern durch den Grenzbereich zwischen Bewusstem und Unbewusstem, wobei er den schweren Ballast seines Fachwissens ebenso nutzte wie seine Intuition und Neugier. Das redete er sich auf jeden Fall immer wieder ein. Aber warum wünschte er sich dann nichts mehr, als dass sein Gegenüber endlich den Mund hielt und aus seinem Büro verschwand? Aus seinem Leben? Lag das an der Person selbst oder an seiner Arbeit als Therapeut? Ingrids unausgesprochenes, schlecht verstecktes Ultimatum, endlich weniger zu arbeiten und mehr für sie und ihre Tochter Aurora da zu sein, hatte Veränderungen erfordert. Er hatte die zeitraubende Forschung ebenso an den Nagel gehängt wie die Beratungstätigkeit für das Morddezernat und die Vorlesungen an der Polizeihochschule und arbeitete nun stattdessen nur noch als Therapeut mit festen Arbeitszeiten. Auf den ersten Blick schien er die Prioritäten damit richtig gesetzt zu haben. Denn was vermisste er an dem, was er aufgegeben hatte? Fehlte es ihm, die Seelen kranker Menschen zu ergründen, die andere auf derart grausame Weise umgebracht hatten, dass es ihm den Schlaf raubte, um dann – wenn er irgendwann doch eingeschlafen war – von Hauptkommissar Harry Hole geweckt zu werden, der ihm wieder und wieder unmögliche Fragen stellte? Vermisste er es, wie Hole ihn nach seinem eigenen Verständnis in einen ausgehungerten, übernächtigten, monomanen Jäger verwandelt hatte, der alle und jeden anfauchte, die ihm bei seiner Arbeit in die Quere kamen und der dabei Kollegen, Familie und Freunde mehr und mehr von sich stieß? Ja, verdammt, er vermisste das. Er vermisste das Wesentliche dieser Arbeit.
    Er vermisste das Gefühl, Leben zu retten. Nicht das Leben eines rational denkenden, potentiellen Selbstmörders, bei denen er sich manchmal zu der Frage hinreißen ließ, warum so ein Mensch nicht einfach sterben konnte, wenn er das Leben so leid war und man ihm doch nicht zu helfen vermochte. Er vermisste es, ein Aktivposten zu sein, derjenige, der eingriff, der einen Unschuldigen aus den Klauen eines Schuldigen riss und tat, was niemand sonst tun konnte, weil er – Ståle Aune – der Beste war. So einfach war das. Ja, er vermisste diesen Harry Hole. Er vermisste die Stimme des mürrischen, versoffenen Mannes mit dem großen Herzen am Telefon, die ihn aufforderte – oder besser gesagt, ihm befahl –, seinen Dienst für die Allgemeinheit zu leisten und
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