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Kleines Lexikon psychologischer Irrtümer - von Abhängigkeit bis Zwangsneurose

Kleines Lexikon psychologischer Irrtümer - von Abhängigkeit bis Zwangsneurose

Titel: Kleines Lexikon psychologischer Irrtümer - von Abhängigkeit bis Zwangsneurose
Autoren: Gütersloher Verlagshaus
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wenn das verkorkste Ich seine noch so grotesken Bedürfnisse formulieren darf. Und mit dem marktgängigen kosmetischen Chirurgen gelingt auch noch der gemeinsame Kindergartenbesuch.
    Bipolare Erkrankung
    Hat mit Nord- und Südpol ebenso wenig zu tun wie mit Plus und Minus. Vielmehr sind krankheitsbedingte Gefühlsschwankungen zwischen Depression und Euphorie gemeint.
    Aber Vorsicht: Die Deutungshohepriester des psychiatrisch-industriellen Komplexes arbeiten schon jetzt fieberhaft an einer Ausweitung der Krankheitsdefinition in normalpsychologische Bereiche hinein. Also lassen Sie sich Ihre spontane Heiterkeit bloß nicht als bipolare Erkrankung deuten.
    Borderline
    Emotionale Instabilität, impulsive Handlung, Neigung zu intensiven, aber unbeständigen Beziehungen sowie selbstbeschädigendes Verhalten sind wesentliche Kriterien dieser Persönlichkeitsstörung. In den 70er-Jahren kreierter Begriff orientierungsloser Psychiater, die in ihrer komplizierten Art zu denken lieber eine neue Krankheit erschaffen als das Wesentliche zu erkennen. Denn die Borderline-Persönlichkeitsstörung ist, ähnlich wie die multiple Persönlichkeit, eine speziell kulturgeformte Variante der hysterischen Persönlichkeit. Die Diagnose Borderline wird exponentiell häufig gestellt, und es scheint manchmal so zu sein, dass in diese Diagnose quasi alles hineingezwängt wird, was nicht 100%ig mit anderen Erkrankungen übereinstimmt.
    Exkurs
    Borderline oder die neue Wohlfühldiagnose
    Mag sein, dass beim letzten Wort der Vorwurf des blanken Zynismus laut wird. Realismus wäre jedoch angemessener. Vom Zynismus zum Realismus ist es eben nur ein kleiner Schritt. Nicht überall, wo Borderline draufsteht, ist auch die Borderline-Erkrankung drin.
    Neulich sagte eine junge Patientin lächelnd: »Ich leide unter Borderline, und in dieser Diagnose fühle ich mich wohl!«
    Einen solchen Satz hört man nicht von schwerstkranken Patienten. Eher von Pseudopatienten. Diese sind nächtelang im Internet und haben sich das ihnen Entsprechende und Passende zurechtgelesen und -gelegt. Beispielsweise aus der ICD-10 (Internationale Klassifikation für psychische Erkrankungen) die Symptome, »… Impulse auszuagieren ohne Berücksichtigung von Konsequenzen und wechselnder, launenhafter Stimmung. Die Fähigkeit, vorauszuplanen, ist gering und Ausbrüche intensiven Ärgers können zu oft gewalttätigem und explosivem Verhalten führen …« Hört sich doch gut an. Die totale Befreiung für den Rest des Lebens. Verantwortung für andere und das eigene Leben? Klingt irgendwie spießig. Dann doch lieber Borderline. Wenn man dann in den Tag hineinleben darf, kann man sich wirklich mit dieser Diagnose wohlfühlen. Das Leben ist ein Selbstbedienungsladen. Die ärztliche Lizenz macht’s möglich.

    Und die gebetsmühlenartige Präsenz von Trauma und Trauma-Folgestörungen (die Phraseologie des traumatisierten Seins ließe sich beliebig fortsetzen) in den Medien weckt Empfindlichkeiten und schließlich auch Begehrlichkeiten, die kein Gesundheitssystem je auffangen kann.
    So werden sich dann auch die Aufgaben des Psychiaters wandeln. Musste er früher seine Patienten von einer psychischen oder zumindest psychosomatischen Erkrankung überzeugen, so wird er in den nächsten Jahren des Mangels immer mehr »Patienten« überzeugen, dass sie die Diagnose oder Störung eben nicht haben, dass diese und jene Beschwerden zum Leben dazugehören und dass das Internet eben nicht der Stein der Weisen ist.
    Bore-out
    Sie meinen spontan, es handele sich um einen schlichten Schreibfehler, und ich meinte Burn-out? Weit gefehlt. Tatsächlich handelt es sich bei »Bore-out« um das Neueste aus der Kinderkrippe der psychologischen Empfindlichkeit- und Attitüdenforschung. Das genaue Gegenstück zum Burn-out. Während Burn-out die überengagierten Mitarbeiter betrifft, entwickeln die Faulen und Inkompetenten ein Bore-out. Sie können nicht entlassen werden, und man platziert sie auf ein Abstellgleis, wo sie keinen Schaden anrichten können. Sie selbst langweilen sich dort, zwar nicht zu Tode, aber immerhin so, dass der rettende
Krankenstand erreicht wird. Schon wird die neue Arbeitswelt als die ideale Brutstätte für psychische Erkrankungen ausgemacht. Wobei sie andererseits Arbeitsplätze schafft, und zwar für Therapeuten. Da gibt es nichts kleinzureden. Es gibt sie schon, die Bore-out-Therapeuten und darauf spezialisierte Kliniken. Aber vielleicht sollte man sich bei dieser Gelegenheit daran
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