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Kindersucher

Kindersucher

Titel: Kindersucher
Autoren: Paul Grossman
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sie weit entfernte Musik hören.
    »Umhüllt von der Hirnrinde«, von Hessler schien sich an ein imaginäres Publikum aus Kollegen zu richten, »habe ich die Schicht entdeckt, die für menschliches Verhalten verantwortlich ist, eine ganze Kette von Befehls- und Kontrollzentren, die die motorischen Aktivitäten steuern. Wenn ich sie mit elektrischen Impulsen bearbeite, kann ich Aktionen erzeugen, die normalerweise nur willentlich vorgenommen werden. Zum Beispiel, Ilse ... Kabine zwei.«
    Ilse leckte sich die Lippen und betätigte Schalter, bis die Jungen, die darin saßen, begannen, ihre Münder zu bewegen.
    »Kauen!«, rief sie mit sich überschlagender Stimme.
    Triumph zuckte über das Gesicht des Doktors.
    Je mehr es so wirkte, als würden die Jungen eine große, köstliche Mahlzeit genießen, desto komischer fand Ilse das offenbar. Sie lachte bellend, wie eine Verrückte, grausam, so wie ihr Vater gebellt haben musste, wenn er sie gefoltert hatte. Hätte ein Kind, das so gequält wurde, jemals anders werden können? Kraus befürchtete, dass selbst alle Ärzte der Welt jemand wie Ilse nie wieder gesund machen konnten.
    »Vergessen Sie Freud«, verkündete von Hessler der unsichtbaren Weltpresse, die sich zu seinen Füßen scharte. »Es ist mir nicht nur gelungen, den Ursprung der Neurosen zu entdecken ...«
    Kraus sah sich verzweifelt um.
    »... sondern ich habe diese Neurosen sogar erzeugen und sie wieder entfernen können.«
    Kraus konnte nicht einfach so herumstehen. Ein Kabelstrang aus elektrischen Leitungen verlief quer über den Boden. Wohin?
    »Wirklich brillant, von Hessler!« Kraus versuchte, den Mann abzulenken, er ließ jedoch zu, dass seine Worte seine ehrliche Wut verrieten. »Sie haben sogar den großen Pawlow persönlich übertroffen. Die Welt sollte Ihnen die Füße küssen. Aber haben Sie auch jemals eins dieser Kinder wieder geheilt?«
    »Geheilt?« Von Hessler lachte schallend.
    Kraus’ Blick folgte dem Kabelstrang zu einem großen Sicherungskasten hinter Ilses Schreibtisch.
    »Seien Sie nicht kindisch, Kraus. Glauben Sie denn, dass ich ihnen die Schädeldecke wieder anklebe? Statt als menschlicher Abschaum dahinzuvegetieren, wurden diese Jungen von mir geadelt, indem ich ihnen gestattete, das größte aller möglichen Opfer zu bringen. Eines Tages wird man ihnen Denkmäler für ihren Dienst an der Wissenschaft setzen. Ihr Tod, glauben Sie mir, ist weit humaner, als ihr Leben es war. Ihr Pathologe hat zweifellos herausgefunden, dass sie an Kohlenmonoxidvergiftung gestorben sind. Aber Sie haben sich niemals erklären können, wie das passiert ist, stimmt’s? Nun, meine Untersuchungsobjekte leben, wenn ich mit ihnen fertig bin. Bis Sie sich eingemischt haben, haben wir sie einfach mit einem Lieferwagen zu Magdas Werkstatt in die Knochengasse gefahren, und zwar auf Umwegen. Auf der Fahrt haben wir einen Schlauch vom Auspuff in den Laderaum geführt, der luftdicht versiegelt war. Wenn die Jungs bei Magda ankamen ... Nun, es war eine schnelle, saubere und billige Methode. Es war Axels Idee. Wir hatten eine wahrhaft wunderschöne Beziehung, diese Köhlers und ich, bis ...«
    Kraus warf sich zu Boden, landete auf der Schulter und rollte sich ab, während von Hessler auf ihn feuerte. Kugeln pfiffen links und rechts an ihm vorbei und schlugen in die elektrischen Kabel ein. Funken stoben über den Boden, zuckten hinauf zum Sicherungskasten, der in einer Wolke aus Rauch und Flammen explodierte.
    Ilse stieß einen Schrei aus und sprang von ihrem Stuhl. Kraus stürzte sich auf sie und riss ihr seine Pistole aus der Hand. Dann ließ er sie los, warf sich hinter einen Tisch und feuerte auf von Hessler, der ebenfalls in Deckung gegangen war und das Feuer erwiderte. Ilse lag wie erstarrt auf dem Boden, den Kopf erhoben und die Augen starr auf den Vorhang aus Feuer gerichtet, der über die Mauer lief.
    »Hol schon endlich den verdammten Feuerlöscher, du syphilitische Hure!«, schrie von Hessler sie an.
    Ilse schien ihn jedoch nicht zu hören; ihr pockennarbiges Gesicht war so starr wie eine Totenmaske. Als die Flammen heller loderten und über die Tür glitten, stieß sie einen Schrei so abgrundtiefen Entsetzens aus, dass Kraus ihn in seinem Bauch spürte. Dann sprang sie auf, in dem verrückten Versuch, sich zu retten; er sah ihr rotes Haar flattern, ihre drahtige, von Flammen umhüllte Gestalt, als sie zur rettenden Treppe rannte.
    »Miststück! Verdammtes Miststück!« Von Hessler schoss auf sie.
    Die
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