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Kinder der Stürme

Kinder der Stürme

Titel: Kinder der Stürme
Autoren: George R.R. Martin
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Anfänger höher zu fliegen, hoch und sicher vor ihren eigenen Fehlern über die Wellen zu gleiten. Aber Maris streifte wie ein Flieger über die See, wobei ein kurzes Absacken, ein sanftes Berühren des Wassers mit der Flügelspitze unweigerlich einen plumpen Sturz ins Wasser nach sich ziehen würde. Und den Tod, denn mit einer Flügelspannweite von zwanzig Fuß schwimmt man nicht besonders weit.
    Maris war kühn, aber sie kannte die Winde genau.
    In einiger Entfernung entdeckte sie den Hals einer Szylla. Wie ein gewundenes dunkles Tau zeichnete sie sich gegen den Horizont ab. Ohne lange nachzudenken, reagierte sie. Ihre rechte Hand zog den ledernen Flügelgriff herunter, die linke drückte nach oben. Sie verlagerte ihr gesamtes Körpergewicht. Die großen Silberschwingen -hauchdünnes und federleichtes, aber ungeheuer zähes Material – veränderten ihre Stellung entsprechend ihrer Bewegung. Eine Flügelspitze streifte beinahe die Schaumkronen unter ihr, die andere hob sich. Maris gelang es, sich voll in den Aufwind zu legen, sie begann zu steigen.
    Tod, der Himmelstod, oft dachte sie an ihn, aber so wollte sie nicht enden, nicht wie eine unaufmerksame Möwe, die ins Wasser stürzte und einem hungrigen Ungeheuer als Mahlzeit diente.
    Minuten später hatte sie die Szylla erreicht. Spöttisch flog sie eine Schleife um das Tier, jedoch außerhalb seiner Reichweite. Aus der Höhe konnte sie seinen, nur teilweise vom Wasser bedeckten Körper sehen, die Reihen schlüpfriger schwarzer Flossen, die rhythmisch durch das Wasser schaufelten. Der kleine Kopf am Ende ihres langen Halses pendelte langsam hin und her und ignorierte sie. Vielleicht hat es schon früher mit Fliegern Bekanntschaft gemacht, dachte sie, und kann sich mit ihrem Geschmack nicht anfreunden.
    Die Winde waren kälter geworden und schwer vom Salz. Ein Unwetter braute sich zusammen. Sie spürte ein Zittern in der Luft. Fast berauscht flog Maris weiter und ließ die Szylla schon bald weit hinter sich zurück. Dann war sie wieder allein. Ohne Anstrengung flog sie durch eine leere dunkle Welt aus Meer und Himmel, in der nur das Rauschen des Windes vernehmbar war.
    Einige Zeit später erhob sich die Insel aus dem Meer: ihr Ziel. Mit einem Seufzer bedauerte sie das Ende ihrer Reise. Maris ließ sich hinabgleiten.
    Gina und Tor, zwei einheimische Landgebundene – Maris hatte keine Ahnung, was sie taten, wenn sie nicht gerade Fliegern halfen -warteten pflichtbewußt auf der Landzunge, die als Landebahn diente. Um ihre Aufmerksamkeit zu erregen, kreiste sie kurz über ihnen. Die beiden erhoben sich und winkten ihr zu. Als sie ein zweites Mal zur Landung ansetzte, waren sie bereit. Maris glitt immer tiefer, bis ihre Füße nur noch wenige Zentimeter über dem Boden schwebten. Gina und Tor rannten neben ihr, jeder parallel zu einer Flügelspitze, über den Sand. Ihre Zehen berührten den Boden, und in einer Wolke aufgewirbelten Sandes wurde sie langsamer.
    Schließlich hielt sie an und blieb ausgestreckt auf dem kühlen trockenen Sand liegen. Sie kam sich albern vor. Ein gelandeter Flieger gleicht einer Schildkröte, die auf dem Rücken liegt. Sie konnte allein aufstehen, wenn die Situation es erforderte, aber es war ein schwieriger, unwürdiger Vorgang. Dennoch war die Landung gut gelungen.
    Gina und Tor begannen die Flügel Stück für Stück zusammenzufalten. Als jede Verstrebung gelöst und auf das nächste Segment gelegt wurde, hing das dünne Gewebe zwischen ihnen schlaff herunter. Nachdem alle Streckstützen herausgezogen waren, hingen die Flügel in zwei losen Falten kraftlosen Metalls von der Mittelachse, die an Maris’ Rücken festgeschnallt war.
    „Wir haben Coli erwartet“, sagte Gina, während sie die letzte Verstrebung zusammenlegte. Ihr kurzes dunkles Haar stand wie Stacheln von ihrem Kopf ab.
    Maris schüttelte den Kopf. Vielleicht war Coli an der Reihe gewesen, aber sie hatte sich verzweifelt nach Luft gesehnt. Sie hatte sich die Flügel genommen – es waren immer noch ihre Flügel – und war hinausgegangen, bevor er aufgewacht war.
    „Ab nächste Woche wird er ausreichend Gelegenheit zum Fliegen haben, denke ich“, sagte Tor aufmunternd. Seine blonden Haare waren immer noch voller Sand, und er zitterte im kühlen Seewind, aber er lächelte, während er sprach. „Soviel er will.“ Er stellte sich vor Maris, um ihr beim Ablegen der Flügel zu helfen.
    „Ich werde sie tragen“, erwiderte Maris abweisend. Sie war ungeduldig und ärgerte sich
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