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Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Titel: Karlas Umweg: Roman (German Edition)
Autoren: Hera Lind
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sinnlos und überflüssig! Letztens hat er Tante Käthe zum Fünfzigsten eine Flasche Piccolo und eine Schachtel Weinbrand-Pralinen in einem Aldi-Karton überreicht. Und zwar mit erhobenem Kopf.
    Und zu Mama hat er am Silberhochzeitstag gesagt, den ganzen überflüssigen Firlefanz mit dem Juwelen-Geschenke wolle er ihr nicht zumuten, aber da drüben am Garderobenhaken hinge sein Jackett, und in der linken Innentasche müssten noch zwölf Mark sein, davon könne sie sich gerne einen großzügigen Blumenstrauß kaufen. Wobei er sie darauf hinweise, dass es bei Eduscho jetzt die Thermoskannen gäbe, die den Kaffee so wünschenswert lange warm hielten. Da müsste sie nicht das ganze Geld ausgeben für Blumen, die nach einer Woche schon wieder hin wären. Die Thermoskanne wäre eine Investition für ihre zweiten fünfundzwanzig Ehejahre.
    Auch wenn ich Papas Sparsamkeit – man könnte sie auch als manischen Geiz bezeichnen – nicht ganz übernommen habe, so bringe ich es doch nicht übers Herz, so eine dicke, goldene Kladde einfach zu verbrennen.
    Ich gebe zu, dass ich wahrscheinlich nicht viel Interessantes in diese Kladde schreiben kann, zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Entwicklung meines höchst durchschnittlichen Lebens. Wir schreiben das Jahr 1985. Seit meiner Geburt hocke ich nun in dieser hessischen Kleinstadt, unterrichte die mehr oder weniger musikalische Brut anderer Leute im Klavierspielen, Notenschreiben und Rhythmusklopfen, spiele auch dann und wann im örtlichen Musikschulkonzert eine Mozart-Sonate, singe nach wie vor treu in allen Chören der Umgebung (Mama sagte vor Jahren, vielleicht lernst du dort mal einen Mann kennen) und lebe ansonsten so vor mich hin. Papa und Mama wohnen in einem grauen Reihenhaus in der Nähe, und wenn ich Hunger oder Wäsche zum Waschen habe, dann schaue ich immer gern bei ihnen vorbei. Mama sagt, auf diese Weise lerne ich nie einen Mann kennen! Papa meint, ich solle viel mehr an mein berufliches Weiterkommen denken als daran, einen Mann kennenzulernen. Ich selber bin der Meinung: Theoretisch geht beides. Aber eben nur theoretisch.
    Regina erlebt natürlich ungleich mehr: Sie hat eine Beziehung! Und was für eine! Eine komplizierte dazu! Ja, wenn sie darum nicht zu beneiden ist! Erst mal hat sie jeden Tag neuen Stoff zum Quatschen. Gernot hier. Gernot dort. Gernot gestern, heute, morgen. Gernots schwieriges Elternhaus. Gernots gestörte Beziehung zu Katzenhaaren. Gernots Allergien gegen Fertiggerichte. Gernots fanatische Leidenschaft für diesen aufreibenden Sport, der sich Minigolf nennt. Gernot ist nämlich ein Perfektionist. Und von krankhaftem Ehrgeiz getrieben. Gernot kann nicht verlieren, und wenn doch, dann kriegt er Ausschlag in den Armbeugen. Er ist von dem manischen Zwang getrieben, seinen Minigolfball ohne Umwege in das Minigolfloch zu schlagen. Selbst Fehlschläge, die nur ein oder zwei Zentimeter am Hindernis vorbei zielen, treiben Gernot in Depressionen. Gernot trainiert deshalb dreimal in der Woche mit seinem Minigolfverein im Kurpark! Er besitzt zwei Dutzend verschiedene Schläger, von der Anzahl der Minigolfbälle erst ganz zu schweigen! Und wer muss die alle sauber halten und darf sie trotzdem nicht anfassen? Regina. Wenn das nicht Stoff für ganze verregnete Nachmittage auf dem Flur der Musikschule ist.
    Und erst die Vereinskollegen! Alle so komplizierte, eigenwillige Naturen! Und natürlich muss Regina ihnen nach dem nervenaufreibenden Training, wenn die Jungs durchgeschwitzt und mit vor Konzentration hervorquellenden Augen nach Hause kommen, Schnittchen schmieren! Aber mit fettarmer Leberwurst, wegen der Kalorien. Und ohne Konservierungsstoffe, damit sie keine Allergien bekommen. Und wie sie dann fachsimpeln! Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, sagt Regina. Nicht im Entferntesten. Und was das alles für interessante Menschen sind. Kein einziger Durchschnittstyp ist dabei. Alles ausgesucht komplizierte, schwierige Naturen, feingliedrig, hochsensibel und jeder auf seine Art eigen. Aber Gernot ist am eigensten von allen. Schon sein Elternhaus, so schwierig und kompliziert. Diese körperfeindliche Erziehung. Na ja. Daran arbeiten sie, aber das geht nicht alles von heute auf morgen. Dazu gehört Einfühlungsvermögen, und viel Geduld! Wenn Gernot seine Klammer-Phase hat, sagt Regina, dann kann er schon sehr anstrengend sein. Aber noch schlimmer ist die Loslass-Phase. Da kann er dann keine körperliche Nähe ertragen, hat sein Analytiker gesagt. Er soll
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