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Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle
Autoren: R Merle
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besaßen.«
    »Und was wurde inzwischen aus der englischen Flotte?«
    »Sie hatte am vierundzwanzigsten November beigedreht. Und dank einer unglaublichen Ironie des Schicksals, die sogar Guiton
     die Wege der Vorsehung verdunkelte, erhob sich zwei Tage später, am sechsundzwanzigsten November, der Südwest und steigerte
     sich an Stärke und Geschwindigkeit bis zum gewaltigen Sturm. Er riß die Stützen des Deiches ein und brach den Deich an drei
     Stellen auseinander.«
    »Heißt das, Monsieur, wenn Lord Lindsey zwei Tage länger geblieben wäre, hätte er La Rochelle mit Nahrung versorgen können?«
    »Das hörte ich oft sagen, aber, schöne Leserin, so sprechen Landbewohner. Die Wahrheit des Ozeans sieht anders aus. Die Bucht
     von La Rochelle liegt dem Südwest weit geöffnet, und wenn dieser Wind Orkanstärke gewinnt, ist ihm nichts mehr gewachsen.
     Er hätte die Schiffsanker aus dem Grund gerissen, die Ankerketten zerschlagen, und die englische Flotte wäre splitternd und
     krachend teils gegen die französische Flotte, teils gegen die Palisaden, teils gegen die Deichstümpfe geschleudert worden.«
    »Was hätte Lord Lindsey in einer solchen Lage tun können?«
    »Beidrehen, bevor der Südwest zum Sturm wurde, Madame, |357| und mit verminderter Segelkraft an der gegenüberliegenden Küste der Insel Ré, am Bretonischen Pertuis, Schutz suchen. Auf
     keinen Fall hätte er angreifen können.«
    »Also machte sich die englische Flotte auf den traurigen Heimweg.«
    »Der ihr zum bitteren Leidensweg wurde, denn auch sie geriet in einen Sturm und verlor vierzehn große Schiffe und vierhundert
     Mann. England war in dieser Geschichte der große Verlierer.«
    »Und der französische König der große Gewinner?«
    »Ja. Aber nicht er allein, Madame. Das Merkwürdige ist, daß der königliche Sieger und der Rochelaiser Besiegte sich den Ruhm
     teilen mußten. Die königliche Armee genoß von Stund an den Ruf der Unbesiegbarkeit. Der Name La Rochelle jedoch flog durch
     ganz Europa als ein Symbol des Heroismus und der Standhaftigkeit im Unglück.«
    »Aber die Stadt war doch völlig ausgeblutet, nachdem sie den größten Teil ihrer Einwohner verloren hatte.«
    »Trotzdem wurde allen Hugenotten, die nicht in der Stadt geboren waren, der Zuzug verboten.«
    »Wie soll ich eine so paradoxe Maßnahme verstehen?«
    »Bei näherem Hinsehen, Madame, war sie sehr genau bedacht. Der Belagerung waren nämlich weit mehr Männer erlegen als Frauen,
     weil Ihr liebenswertes Geschlecht, schöne Leserin, offenbar besser begabt ist zu überleben, so daß es in La Rochelle beim
     Friedensschluß viele Witwen und viele Mädchen ohne Männer gab. Und weil eine Heirat in den Augen dieser Witwen und Mädchen
     eine Messe wert war, wie unser guter König Henri gesagt hätte, heirateten sie je nach Rang und Stand die Soldaten oder Offiziere
     der königlichen Garnison … Womit sich in La Rochelle das zahlenmäßige Gleichgewicht zwischen Hugenotten und Katholiken herstellte.«
    »Ein bewundernswerter Schachzug Ludwigs XIII.!«
    »Nein, Madame, diese Maßnahme war die Idee des Kardinals. Obwohl er für Ihr liebenswertes Geschlecht nicht viel übrig hatte,
     erkannte er zu Zeiten seine Nützlichkeit.«
    »Auch er war der große Sieger der Belagerung.«
    »Zweifellos! Kurios aber, er, der für gewöhnlich so Maßvolle, sprach bei dieser Gelegenheit Worte, die von einem sehr unvorsichtigen
     Vertrauen in die Zukunft zeugten. ›Soviel ist |358| gewiß‹, erklärte er, ›das Ende von La Rochelle ist das Ende von Frankreichs Miseren und der Anfang seiner Ruhe und seines
     Glücks.‹«
    »Und diese Voraussage erwies sich als falsch?«
    »Grundfalsch. Am zwanzigsten Mai 1629 wurde der Frieden mit England unterzeichnet, und zehn Monate später, am zehnten und
     elften März 1630 brach am Hof etwas aus, was man den ›großen Sturm‹ nannte: Eine mächtige, haßgetriebene Kabale, angeführt
     von der Königinmutter und eingerührt von Marillac, die darauf abzielte, Richelieu vom König zu trennen und ihn zu vernichten.
     Es waren tödliche Schrecken für den Kardinal, der sich in einem Maße von Ungnade, Verbannung und womöglich dem Tode bedroht
     fühlte, daß er an den Punkt kam, alles hinzuwerfen! Gott sei Dank tat er es nicht. Aber das, Madame, ist eine andere Geschichte,
     die ein andermal erzählt werden soll.«



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Informationen zum Buch
    Erzählt wird die Geschichte dreier Generationen der Adelsfamilie Siorac während des
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