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Kanak Sprak: 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft

Kanak Sprak: 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft

Titel: Kanak Sprak: 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft
Autoren: Feridun Zaimoglu
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hätt halt gern mehr links und rechts und oben und unten. Wie’s auch bestellt ist, bruder, rosa ist schon nicht nur fast ne blaskapelle, aber auch’n bißchen kissen, für ne halbe stunde bett ich mich gern darin.

Die Materie züchtigt mich
Tolga, 29,
asylsuchender Revolutionär
    Was, wenn nicht ich es bin, der dies wippen und wappen des lauts hört, des einen und einzigen lauts, der hörbar nah, und wenn man nicht wollte hören, zwinglich fern, wenn dies bild- und bilderfunkeln, dies klumpfüßig auf- und abgehen des bürgersteigs, dies fallen von allerlei gefieders von den stadtmasten, den stadt-fensterbrettern, dies rutschen von dachfirsten, von himmelhohen fassaden, was ist, wenn dies runterscheppern von krimskrams nicht von mir gesehen wird, was, wenn die sachen passieren, wie sie eben passieren, und keinen nötig haben, der sie sieht und begreift, und was, wenn ich mir meine augen einfach einbilde, etwa aus spaß? Was, wenn ein unsichtbarer seine vielen arme streckt und dehnt und dabei losläßt, und dann entsteht der freie fall der vögel, des regens, der hagelschauer, der blätter, und der vielen verschiedenen dinge, und ich, der ich nach oben blicke, sehe das stürmische runterkrachen, als die kraft, die, was oben ist, nach unten reißt und nicht eher aufhört zu zerren, bis meinetwegen eine angeschossene stadtkrähe sich ergibt und runterplumpst? Die fragerei kommt daher, daß man von einem feind geneppt wird, der stellt die fragen und löst das elende grübeln aus, und es wird einem vom vielen verstehenwollen ganz schwarz vor den augen. Ich denke, daß es dieser schwindel ist, der einen dahinrafft, ich glaube, daß eben dieser schwindel einen altern läßt, ohne, daß man es wirklich nötig hätte zu altern. Die materie züchtigt mich, sie hat mich in dieses dunkle und elende exilloch gepfeffert, wo ich mich jeden tag ins fleisch kneifen muß, um sicherzugehen, daß es unterm strich eine hölle zwar, aber eine konkrete hölle ist, wo ich abends den lichtschalter umlege, um helle vom dämmer zu scheiden. Im nachhinein kann ich das geschehene kurz und bündig so wiedergeben: ich habe gegen die bourgeoisie gekämpft im eigenen land und floh in ein anderes, wo es eine fettere ausgabe derselben gibt, und die ich anbettele, mich aufzunehmen. Also ein ziemlicher witz. Im grunde lebe ich nach einer altmodischen Überzeugung, nach der jeder einzelne sich fragen muß, wo er steht und mit welcher macht er paktiert. Und der kampf ist so etwas wie ein reinigendes feuer, ich meine, diese ganze schose mit dem rattenschwanz von märtyrern, die im grunde unter der sengenden hitze anatoliens oder bei einer bullenrazia den finalen schuß gekriegt haben und einfach verreckt sind, diese schose von wegen beißt die zähne zusammen und kämpft für die gute sache, und du siehst deine genossen wegschmelzen und kaust an dem glaubenssatz, daß es schon gut ausgehen wird, was das auch immer heißen mag, und irgendwie entstellt dich diese maßlose anstrengung. Sie macht aus dir eine nippesfigur, ein sentimentales monstrum mit schlechten und abgelegt geglaubten gefühlsüberhängen, einen kretin im inferno der geldbeschaffung, sie liefert dir dutzende erkenntnisse und tausend lügen hinterher, bis du nur noch auf die einzige plumpe Überlegung reduziert bist, nämlich weiter-oder schlappmachen. Ich bin mit fast dreißig jahren schon ein einfältiger alter veteran, und in meinem kopf wimmelt es von schnappschüssen vergangener tage, ich lasse es zu, daß der sturm einstiger wahrer handlungen in mir tobt, und, als gebe es kein tätiges heute, meutert mein körper gegen das diktum der bewegung. So bin ich ein gespaltener, ein holzschnittspuk, das massive frontschwein im spital zur letzten frohen erregung. Die schizophrenie geht sehr weit. Ich ertappe mich dabei, wie ich mich langsam der abstraktion ergebe, und, wie ich glaube, daß die gesagten wie ungesagten worte, die gelebten wie die ungelebten bilder in den schlund einer metapher poltern, einem großen hunger der natur, aus der ich meine eigene natur beziehen kann. Die gleichnisse umgeben mich, und ich kann sie fassen wie einen tonkrug oder das fleisch schwarzer oliven. Vor ein paar tagen kam ein film im fernsehen, er hieß: der killer lauert im ring, es fiel mir nicht schwer, den titel zu merken, weil ich längst dazu übergegangen bin,
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