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Kalter Mond

Kalter Mond

Titel: Kalter Mond
Autoren: Giles Blunt
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Gehirnpartien feststellen, die Erinnerungen speichern, ich nehme daher an, dass sie sich vorübergehend in einem traumatischen Nebel befindet, der sich irgendwann lichtet. Zu diesem Zweck werde ich eine Therapie bei einem Neuropsychologen empfehlen. Also, wasgenau brauchen Sie von mir, einmal abgesehen von der Kugel?«
    »Besteht die Möglichkeit, dass ihr irgendeine Erinnerung kommt, während Sie sie operieren?«
    »Wir werden uns sachte an den Hippocampus herantasten. Auf jeden Fall gibt es eine reelle Chance, dass sie ein paar Erinnerungsfetzen hat. Ob das nun Träume oder tatsächliche Erinnerungen sein werden, kann ich nicht sagen. Aber Sie haben ja gesehen, in welchem Zustand sie ist. Ihre Äußerungen werden sich nicht einordnen lassen.«
    »Wenn Sie nur bitte im Auge behalten, dass sie für uns vielleicht von Nutzen sind und ihr das Leben retten könnten. Wir wissen nicht, wer versucht hat, sie umzubringen.«
    »Ist das alles?«
    »Ich müsste eigentlich zusehen, wie Sie die Kugel rausholen.«
    »In Ordnung. Dann stecken wir Sie mal in Handschuhe und Kittel. Wir arbeiten mit einem Instrument, das wir als Geheimstation bezeichnen. Es handelt sich um einen 3-DComputertomographie-Scanner, der an das Mikroskop angeschlossen ist, mit dem ich arbeite. Wir werden Ihnen einen Logenplatz geben.«
     
    Wie die meisten Cops hatte Cardinal schon eine Menge Blut gesehen – die zerfetzten Opfer von Verkehrsunfällen oder blutbespritzte Küchen, Schlafzimmer, Keller oder Wohnzimmer, in denen Männer sich gegenseitig Gewalt angetan hatten oder, häufiger, Männer Frauen. Man entwickelt eine Hornhaut dagegen, wie beim berühmten Zimmermannsdaumen. Woran sich Cardinal allerdings nie hatte gewöhnen können, war der OP. Aus irgendeinem Grund, den er nicht durchschaute – er hoffte, dass es nicht einfach nur Feigheit war –, drehte sich ihm beim bloßen Anblick der blitzenden Instrumenteder Magen um, und zwar in einem Maße, das er bei Verbrennungen, Verstümmelungen oder Stichverletzungen nicht kannte.
    Dr. Schaff ließ sich von zwei Ärzten und zwei OP-Schwestern assistieren. »Red«, wie Cardinal sie im Stillen nur noch nannte, war von den Beruhigungsmitteln sowie dem krampfvorbeugenden Präparat zwar schläfrig, doch bei Bewusstsein. Um die Eintrittswunde hatte man ihr inzwischen eine größere Stelle kahl rasiert, und über eine riesige subkutane Infusion war ihr ein Lokalanästhetikum verabreicht worden. Eine Vollnarkose war nicht nötig, da das Gehirn schmerzunempfindlich ist.
    Mit Mundschutz und im Kittel stand Cardinal seitlich zu Reds Füßen, wo er gleichzeitig den Eingriff auf einem Overhead-Monitor verfolgen und der Chirurgin bei der Arbeit zusehen konnte.
    »Okay, Red«, sagte Dr. Schaff. »Wie fühlen Sie sich?«
    »Du liebe Zeit. Sie haben alle so schöne Augen.«
    Cardinal sah in die Runde. Das Mädchen hatte recht: Zwischen dem Mundschutz und den OP-Hauben wurden die Augen betont; alle wirkten freundlich und weise.
    »Mit Schmeicheln erreichen Sie alles«, sagte Dr. Schaff. Sie legte eine Spezialbrille an, mit der sie wie ein gutartiges Alien aussah. »Sind Sie so weit? Es wird nicht wehtun, versprochen.«
    »Ich bin so weit.«
    Cardinal hatte gedacht, er wäre ebenfalls so weit, bis Dr. Schaff ein Skalpell zur Hand nahm und einen Schnitt rund um eine Stelle in Reds Kopfhaut legte. Einen Moment lang bildeten die Linien ein scharlachrotes geometrisches Muster, doch dann quollen sie an und verliefen, und Cardinal wünschte sich, woanders zu sein.
    Dr. Schaff bat um die Knochensäge. Cardinal verbrachteeine Menge Freizeit mit Holzarbeiten, und zu seinem Staunen sah er, dass das Instrument, das in ihren Händen schimmerte, aus seinem Keller hätte stammen können. Es machte ein hohes, heulendes Geräusch wie ein Zahnarztbohrer, doch sobald es auf Knochen stieß, klang es ziemlich ähnlich wie beim Zersägen einer Sperrholzplatte. Red blinzelte nicht einmal, als Dr. Schaff das Stück Knochen herausnahm und beiseite legte. Sie würden es konservieren und in ein, zwei Tagen wieder einsetzen, sobald eventuelle Schwellungen des Gehirns zurückgegangen waren.
    Vor allem richte keinen Schaden an, fordert der hippokratische Eid. Von allen ärztlichen Bemühungen ist die Gehirnchirurgie vermutlich diejenige, bei der die Mediziner mehr als irgendwo sonst diese Vorschrift des Hippokrates im Hinterkopf haben. Dr. Schaff machte sich daran, mit geradezu unerträglicher Behutsamkeit Schicht um Schicht ins Hirngewebe
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