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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis
Autoren: Unbekannter Autor
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Speisezimmer gerufen hätte.
    »Lisa, komm und begrüße unseren Gast!«
    Francesco tauchte auf, sein typisches, wohlwollendes Lächeln auf den Lippen, und nahm mich am Arm. »Kommt«, sagte er und zog mich mit, bevor ich protestieren konnte.
    An unserem langen Esstisch saß in der Mitte ein Mann; als ich eintrat, stand er auf und verneigte sich. Er war einen guten Kopf kleiner als Francesco und zwanzig Jahre jünger. Seine kurze Tunika, sein Spitzbart und sein Akzent rochen nach Rom. »Madonna Lisa, nicht wahr?«
    »Mein Herr«, sagte ich, »Ihr müsst verzeihen. Mein Sohn ist sehr krank. Ich muss zu ihm.«
    Francescos mildes Lächeln geriet nicht ins Wanken. »Kein Grund zur Eile. Komm, setz dich zu uns.«
    Seine Seelenruhe war vollkommen fehl am Platze; panische Angst ergriff mich. War mein Kind gestorben und versuchte Francesco nun, mich zu besänftigen? War dieser Fremde ein Arzt, der hier war, um mich zu trösten? »Wo ist Matteo?«, wollte ich wissen.
    »In Sicherheit«, sagte er, und dieses eine, scharfe Wort war zweideutig.
    Er versuchte nicht, mich aufzuhalten, als ich außer mir die Treppe hinaufrannte, über meine Röcke stolpernd. Ich riss die Tür zum Kinderzimmer auf und sah, dass der
    Raum leer war - fein säuberlich von Matteos Sachen befreit, ebenso wie das Zimmer des Kindermädchens. Sein kleines Bett und die Wiege waren nicht bezogen.
    Wie eine Wahnsinnige lief ich die Treppe wieder hinunter. Francesco hielt mich auf dem unteren Treppenabsatz vor seinen Gemächern auf.
    »Wo ist er?«, fragte ich kochend vor Wut, mit schriller Stimme. »Wohin hast du ihn gebracht?«
    »Wir sind alle im Arbeitszimmer«, sagte er ruhig und nahm meinen Arm, bevor ich nach dem Stilett greifen konnte.
    Mein Blick wanderte durch das Arbeitszimmer: Mein Kind war nicht da. Stattdessen saß unser Besucher an dem kleinen runden Tisch in der Mitte des Raumes vor dem Kamin. Zwei Männer flankierten ihn: Claudio und einer der Soldaten, die unseren Palazzo nach Savonarolas Feuerprobe bewacht hatten.
    Der Soldat hielt Zalumma ein Messer an die Kehle.
    »Wie kannst du so etwas tun?«, zischte ich Francesco an. »Wie kannst du unserem Sohn das antun?«
    Er schnaubte verächtlich. »Ich habe Augen. Er ist wie seine Mutter: von zweifelhafter Herkunft.« Mein kalter Francesco.
    Er führte mich zu einem Stuhl gegenüber von unserem Gast; ich sank darauf nieder, den Blick fest auf Zalumma gerichtet. Ihr Gesicht war versteinert, ihre Haltung ungebeugt. Ich schlug die Augen nieder. Auf dem Tisch vor mir lag der Brief an Giuliano, offen, sodass er leicht zu lesen war. Daneben waren Feder und Tintenfass sowie ein frisches Pergament.
    Francesco stellte sich neben mich und legte mir eine Hand auf die Schulter. »Mit diesem Brief gibt es ein Problem. Er muss neu geschrieben werden.«
    Alles in mir sträubte sich. Ich schaute Zalumma in die
    Augen: Es waren unergründliche schwarze Spiegel. Unser geschätzter Gast nickte dem Soldaten leicht zu, und dieser drückte die Messerspitze an ihren weißen Hals, bis sie keuchte. Ein dunkles Rinnsal trat aus ihrem Fleisch und sammelte sich in der kleinen Kuhle ihres Schlüsselbeins. Sie schaute zur Seite; sie wollte nicht, dass ich ihr Gesicht sah, dass ich sah, wie ängstlich sie war in dem Bewusstsein, sterben zu müssen.
    »Hört auf«, sagte ich. »Ich werde schreiben, was Ihr wollt.« Ich taxierte den Soldaten, Claudio und den spitzbärtigen Mann, die alle auf der anderen Seite des Tisches standen; ich warf einen Blick auf Francesco neben mir. Wenn ich nach dem in meinem Gürtel versteckten Stilett griffe, würde ich festgehalten, noch ehe ich um den Tisch herum war, und Zalumma würde getötet.
    Francesco machte eine zuvorkommende Geste gegenüber dem Ziegenbart. »Ser Salvatore«, sagte er. »Bitte.«
    Salvatore stützte sich mit den Ellenbogen auf den Tisch und beugte sich zu mir vor. »Schreibt die beiden ersten Zeilen ab«, sagte er. »Der Brief muss so klingen, als hättet Ihr ihn geschrieben.«
    Ich tauchte die Feder in die Tinte und kritzelte die Wörter hin:
    Mein über alles Geliebter,
    Man hat mich belogen, mir gesagt, Du seist tot. Doch meine Gefühle Dir gegenüber haben sich nie verändert.
    »Sehr gut«, sagte Salvatore und diktierte mir dann die nächsten Zeilen:
    Dein Sohn und ich sind in Lebensgefahr; Deine Feinde haben uns gefangen. Wenn Du und Dein Bruder Piero nicht am vierundzwanzigsten Mai zum Hochamt in der
    Santa Maria del Fiore seid, werden sie uns umbringen.
    Sendet Ihr
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