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Jugend ohne Gott (German Edition)

Jugend ohne Gott (German Edition)

Titel: Jugend ohne Gott (German Edition)
Autoren: Ödön von Horvath
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du!«
    »Ruhe!« schreit der Präsident empört und verurteilt den Z wegen Zeugenbeleidigung zu zwei Tagen Haft. »Unerhört«, fährt er ihn an, »wie du deine eigene Mutter behandelst! Das läßt aber tief blicken!«
    Jetzt verliert der Z seine Ruhe.
    Der Jähzorn, den er von seinem Vater geerbt hat, bricht aus.
    »Das ist doch keine Mutter!« schreit er. »Nie kümmert sie sich um mich, immer nur um ihre Dienstboten! Seit ich lebe, höre ich ihre ekelhafte Stimme, wie sie in der Küche die Mädeln beschimpft!«
    »Er hat immer zu den Mädeln gehalten, Herr Präsident! Genau wie mein Mann!« Sie lacht kurz.
    »Lach nicht Mutter!« herrscht sie der Sohn an. »Erinnerst du dich nicht mehr an die Thekla?!«
    »An was für eine Thekla?!«
    »Sie war fünfzehn Jahre alt, und du hast sie sekkiert, wo du nur konntest! Bis elf Uhr nachts mußte sie bügeln und morgens um halb fünf schon aufstehen, und zu fressen hat sie auch nichts bekommen! Und dann ist sie weg – erinnerst du dich?«
    »Ja, sie hat gestohlen!«
    »Um fort zu können! Ich war damals sechs Jahre alt und weiß es noch genau, wie der Vater nach Haus gekommen ist und gesagt hat, das arme Mädel ist erwischt worden, sie kommt in die Besserungsanstalt! Und daran warst du schuld, nur du!«
    »Ich?!«
    »Vater hat es auch gesagt!«
    »Vater, Vater! Der hat vieles gesagt!«
    »Vater hat nie gelogen! Ihr habt euch damals entsetzlich gestritten, und Vater schlief nicht zu Haus, erinnerstdu dich? Und so ein Mädel wie die Thekla, so eines ist auch die Eva – genauso! Nein, Mutter, ich mag dich nicht mehr!«
    Es wurde sehr still im Saal.
    Dann sagt der Präsident: »Ich danke, Frau Professor!«

Nun bin ich dran.
    Es ist bereits dreiviertelfünf.
    Ich werde als Zeuge vereidigt.
    Ich schwöre bei Gott, nach bestem Gewissen die Wahrheit zu sagen und nichts zu verschweigen.
    Jawohl, nichts zu verschweigen.
    Während ich schwöre, wird der Saal unruhig.
    Was gibts?
    Ich dreh mich kurz um und erblicke Eva.
    Sie setzt sich gerade auf die Zeugenbank, begleitet von einer Gefängnisbeamtin.
    Ihre Augen wollt ich mal sehen, geht es mir durch den Sinn.
    Ich werde sie mir anschauen, sowie ich alles gesagt haben werde.
    Jetzt komme ich nicht dazu.
    Ich muß ihr den Rücken zeigen, denn vor mir steht das Kruzifix.
    Sein Sohn.
    Ich schiele nach dem Z.
    Er lächelt.
    Ob sie jetzt wohl auch lächelt – hinter meinem Rücken? Ich beantworte die Fragen des Präsidenten. Er streiftauch wieder die Neger – ja, wir verstehen uns. Ich stelle dem N ein gutes Zeugnis aus und ebenso dem Z. Beim Mord war ich nicht dabei. Der Präsident will mich schon entlassen, da falle ich ihm ins Wort: »Nur noch eine Kleinigkeit, Herr Präsident!«
    »Bitte!«
    »Jenes Kästchen, in welchem das Tagebuch des Z lag, erbrach nicht der N.«
    »Nicht der N? Sondern?«
    »Sondern ich. Ich war es, der das Kästchen mit einem Draht öffnete.«
    Die Wirkung dieser Worte war groß.
    Der Präsident ließ den Bleistift fallen, der Verteidiger schnellte empor, der Z glotzte mich an mit offenem Munde, seine Mutter schrie auf, der Bäckermeister wurde bleich wie Teig und griff sich ans Herz.
    Und Eva?
    Ich weiß es nicht.
    Ich fühle nur eine allgemeine ängstliche Unruhe hinter mir.
    Es murrt, es tuschelt.
    Der Staatsanwalt erhebt sich hypnotisiert und deutet langsam mit dem Finger nach mir. »Sie?!« fragt er gedehnt.
    »Ja«, sage ich und wundere mich über meine Ruhe.
    Ich fühle mich wunderbar leicht.
    Und erzähle nun alles.
    Warum ich das Kästchen erbrach und weshalb ich es dem Z nicht sogleich gestand. Weil ich mich nämlich schämte, aber es war auch eine Feigheit dabei.
    Ich erzähle alles.
    Weshalb ich das Tagebuch las und warum ich keine gesetzlichenKonsequenzen zog, denn ich wollte einen Strich durch eine Rechnung ziehen. Einen dicken Strich. Durch eine andere Rechnung. Ja, ich war dumm! Ich bemerke, daß der Staatsanwalt zu notieren beginnt, aber das stört mich nicht.
    Alles, alles!
    Erzähl nur zu!
    Auch Adam und Eva. Und die finsteren Wolken und den Mann im Mond!
    Als ich fertig bin, steht der Staatsanwalt auf.
    »Ich mache den Herrn Zeugen darauf aufmerksam, daß er sich über die Konsequenzen seiner interessanten Aussage keinerlei Illusionen hingeben soll. Die Staatsanwaltschaft behält es sich vor, Anklage wegen Irreführung der Behörden und Diebstahlsbegünstigung zu erheben.«
    »Bitte«, verbeuge ich mich leicht, »ich habe geschworen, nichts zu verschweigen.«
    Da brüllt der Bäckermeister:
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