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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
Autoren: Thomas Mann
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Land, in dem er nun als Fremder wohne und wohin Elohim ihn aus Chaldäa geführt hätte, solle ihm und seinem Samen zu ewiger Besitzung gegeben werden in allen seinen Teilen, – wobei der Gott der Götter ausdrücklich die Völkerschaften und gegenwärtigen Inhaber des Landes aufgeführt hätte, deren »Tore« der Same des Ur-Mannes besitzen solle, das heißt: denen der Gott im Interesse des Ur-Mannes und seines Samens Unterwerfung und Knechtschaft bündig zugedacht habe. Das ist mit Vorsicht aufzunehmen oder jedenfalls recht zu verstehen. Es handelt sich um späte und zweckvolle Eintragungen, die der Absicht dienen, politische Machtverhältnisse, die sich auf kriegerischem Wege hergestellt, in frühesten Gottesabsichten rechtlich zu befestigen. In Wirklichkeit war das Gemüt des Mondwanderers auf keine Weise geschaffen, politische Verheißungen zu empfangen oder hervorzubringen. Nichts beweist, daß er das Amurruland auch nur von vornherein als zukünftiges Gebiet seines Wirkens ins Auge gefaßt habe, als er die Heimat verließ; ja, der Umstand, daß er versuchsweise auch das Land der Gräber und der stutznäsigen Löwenjungfrau erwanderte, scheint das Gegenteil zu beweisen. Wenn er aber des Nimrods großmächtiges Staatswesen im Rücken ließ und auch das hochangesehene Reich des Oasenkönigs mit der Doppelkrone sogleich wieder mied, um ins Westland zurückzukehren, das heißt in ein Land, dessen zersplittertes Staatsleben es zu politischer Ohnmacht und Abhängigkeit hoffnungslos bestimmte, so zeugt dies für nichts weniger als für seinen Geschmack an imperialer Größe und seine Anlage zur politischen Vision. Was ihn in Bewegung gesetzt hatte, war geistliche Unruhe, war Gottesnot gewesen, und wenn ihm Verkündigungen zuteil wurden, woran gar kein Zweifel statthaft ist, so bezogen sich diese auf die Ausstrahlungen seines neuartig-persönlichen Gotteserlebnisses, dem Teilnahme und Anhängerschaft zu werben er ja von Anbeginn bemüht gewesen war. Er litt, und indem er das Maß seiner inneren Unbequemlichkeit mit dem der großen Mehrzahl verglich, schloß er daraus auf seines Leidens Zukunftsträchtigkeit. Nicht umsonst, so vernahm er von dem neuerschauten Gott, soll deine Qual und Unrast gewesen sein: Sie wird viele Seelen befruchten, wird Proselyten zeugen, zahlreich wie der Sand am Meer, und den Anstoß geben zu Lebensweitläufigkeiten, die keimweise in ihr beschlossen sind, – mit einem Worte, du sollst ein Segen sein. Ein Segen? Es ist unwahrscheinlich, daß mit diesem Wort der Sinn desjenigen richtig wiedergegeben ist, das zu ihm im Gesicht geschah und das seiner Lebensstimmung, der Empfindung seiner selbst entsprach. In dem Worte »Segen« liegt eine Wertung, die man fernhalten sollte von Bezeichnungen des Wesens und der Wirkung von Männern seiner Art: von Männern also der inneren Unbequemlichkeit und der Wanderung, deren neuartige Gotteserfahrung die Zukunft zu prägen bestimmt ist. Einen reinen und unzweifelhaften »Segen« bedeutet das Leben solcher Männer selten oder nie, mit denen eine Geschichte beginnt, und nicht dies ist es, was ihr Selbstgefühl ihnen zuflüstert. »Und sollst ein Schicksal sein« – das ist die reinere und richtigere Übersetzung des Verheißungswortes, in welcher Sprache es immer möge gesprochen worden sein; und ob dies Schicksal einen Segen bedeuten möge oder nicht, ist eine Frage, deren Zweitrangigkeit aus der Tatsache erhellt, daß sie immer und ohne Ausnahme verschieden wird beantwortet werden können, obgleich sie natürlich mit Ja beantwortet wurde von der auf physischem und geistigem Wege wachsenden Gemeinschaft derer, die in dem Gotte, welcher den Mann von Ur aus Chaldäa geführt, den wahren Baal und Addu des Kreislaufs erkannten und auf deren Zusammenhang Joseph sein eigenes geistiges und körperliches Dasein zurückführte.

2
    Zuweilen hielt er den Mondwanderer wohl gar für seinen Urgroßvater, was aber mit voller Strenge aus dem Gebiete des Möglichen zu verweisen ist. Er selbst wußte ganz genau, aus mancherlei Unterweisung, daß es sich weitläufiger verhielt. Nicht so weitläufig freilich, daß jener Erdengewaltige, dessen mit Tierkreisbildern bedeckte Grenzsteine der Ur-Mann hinter sich gelassen, wirklich Nimrod gewesen wäre, der erste König auf Erden, der den Bel von Sinear gezeugt hatte. Vielmehr war es nach den Tafeln Chammuragasch, der Gesetzgeber, gewesen, Erneuerer jener Mond- und Sonnenburgen, und wenn der junge Joseph ihn dem vorfrühen Nimrod
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