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J.D.SALINGER Neun Erzählungen

Titel: J.D.SALINGER Neun Erzählungen
Autoren: Unknown
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genau ist der Punkt?«
    »Der Punkt ist, wenn sein Hund wirklich gestorben wäre, wäre es exakt dasselbe. Bloß dass er es nicht wüsste. Ich meine, er würde erst aufwachen, wenn er selbst stirbt.«
    Nicholson schaute unbeteiligt und verabreichte sich im Nacken mit der rechten Hand eine langsame, sinnliche Massage. Seine linke Hand, die reglos auf der Armlehne lag, zwischen den Fingern eine neue, unangezündete Zigarette, sah in dem blendenden Sonnenlicht merkwürdig weiß und unorganisch aus.
    Plötzlich stand Teddy auf. »Leider muss ich jetzt wirklich los«, sagte er. Zögernd setzte er sich auf die ausgezogene Beinstütze seines Liegestuhls, blickte Nicholson an und stopfte sich sein T - Shirt in die Hose. »Ich habe schätzungsweise rund anderthalb Minuten, um zu meinem Schwimmunterricht zu kommen«, sagte er. »Er ist ganz unten auf Deck E.«
    »Darf ich noch fragen, warum du Professor Peet gesagt hast, er solle vom ersten Tag des Jahres nicht mehr lehren?«, fragte Nicholson ziemlich unverblümt. »Ich kenne Bob Peet. Deshalb frage ich.«
    Teddy zog seinen Krokogürtel fester. »Nur weil er ziemlich spirituell ist und er im Moment eine Menge Zeug lehrt, das ihm nicht sonderlich guttut, wenn er spirituell echte Fortschritte machen will. Es regt ihn zu sehr an. Es wird Zeit, dass er alles aus seinem Kopf ent fernt, statt noch mehr Zeug hinein zutun. Er könnte allein in d iesem einen Leben eine ganze Menge Apfel loswerden, wenn er wollte. Er kann sehr gut meditieren .«
    T eddy stand auf. »Ich gehe jetzt mal. Ich möchte nicht zu spät kommen.«
    Nicholson schaute zu ihm hoch und hielt den Blick erhoben – hielt Teddy zurück. »Was würdest du tun, wenn du das Bildungssystem ändern könntest?«, fragte er mehrdeutig. »Hast du dir das schon mal überlegt?«
    »Ich muss wirklich los«, sagte Teddy.
    »Beantworte mir nur diese eine Frage«, sagte Nicholson. »Bildung ist nämlich mein großes Thema – das unterrichte ich. Deshalb frage ich.«
    »Hm … ich weiß nicht recht, was ich täte«, sagte Teddy. »Ich weiß ziemlich genau, dass ich nicht mit den Sachen anfangen würde, mit denen die Schulen meistens anfangen .« E r verschränkte die Arme und überlegte kurz. »Ich glaube, als Erstes würde ich einfach alle Kinder zusammenrufen und ihnen zeigen, wie man meditiert. Ich würde versuchen, ihnen zu zeigen, wie sie herausfinden, wer sie sind , nicht nur, wie sie heißen und dergleichen … Wahrscheinlich würde ich vorher noch dafür sorgen, dass sie alles ausleeren, was ihre Eltern und auch sonst alle ihnen je gesagt haben. Ich meine, selbst wenn ihre Eltern ihnen nur gesagt haben, dass ein Elefant groß ist, würde ich dafür sorgen, dass sie auch das ausleeren. Ein Elefant ist nur groß, wenn er neben etwas anderem steht – beispielsweise einem Hund oder einer Dame .« W ieder überlegte Teddy kurz. »Ich würde ihnen nicht einmal sagen, dass ein Elefant einen Rüssel hat. Vielleicht würde ich ihnen einen Elefanten zeigen , wenn ich einen parat hätte, aber ich würde sie einfach bloß zu dem Elefanten hingehen lassen, ohne dass sie mehr über ihn wüssten, als der Elefant über sie wüsste. Dasselbe bei Gras und anderen Dingen. Ich w ürde ihnen nicht einmal sagen, dass Gras grün ist. Farben sind nur Namen. Ich meine, wenn ich ihnen sage, dass Gras grün ist, erwarten sie deshalb, dass Gras auf eine bestimmte Art aussieht – auf meine Art – , statt sonst einer Art, die vielleicht genauso gut ist, vielleicht sogar viel besser … ich weiß nicht. Ich würde nur dafür sorgen, dass sie jedes Stückchen des Apfels erbrechen, von dem ihre Eltern und sonst jeder sie haben abbeißen lassen.«
    »Bestünde nicht die Gefahr, dass du damit eine kleine Generation von Ignoranten heranziehst?«
    »Warum denn? Sie wären keine größeren Ignoranten als ein Elefant. Oder ein Vogel. Oder ein Baum«, sagte Teddy. »Nur weil etwas auf eine bestimmte Art ist , statt sich auf eine bestimmte Art zu verhalten, heißt das doch nicht, dass es ignorant ist.«
    »Nicht?«
    »Nein!«, sagte Teddy. »Außerdem, wenn sie das ganze andere Zeug lernen wollten – Namen, Farben, Dinge – , dann könnten sie es doch, wenn ihnen danach ist, auch noch später tun, wenn sie älter sind. Aber mir geht es darum, dass sie die Dinge als Erstes ganz auf die echte Art betrachten, nicht nur auf die Art, wie all die anderen Apfelesser die Dinge sehen – das meine ich .« E r ging näher an Nicholson heran und streckte die Hand zu ihm
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