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Inversionen

Inversionen

Titel: Inversionen
Autoren: Ian Banks
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führen, stellen vielleicht gelegentlich fest, daß wir, ohne böse Absicht oder um irgend etwas zu beschönigen, uns in unserer Erinnerung irren. Wir mögen während eines Großteils unseres Lebens eine sehr wohl zutreffende Darstellung von vergangenen Geschehnissen gegeben haben, eine, von der wir vollkommen überzeugt sind und die unserer Meinung nach genau so in unserem Gedächtnis gespeichert ist – nur um eines Tages auf unsere eigenen niedergeschriebenen Worte über diese Ereignisse zu stoßen und festzustellen, daß sie sich keineswegs so abgespielt haben, wie sie sich in unser Gedächtnis eingeprägt haben.
    Vielleicht ist es also so, daß wir niemals irgendeiner Sache sicher sein können.
    Und dennoch müssen wir leben. Wir müssen uns an die Welt anpassen. Um das zu tun, müssen wir uns an die Vergangenheit erinnern, versuchen, die Zukunft vorauszusehen und den Anforderungen der Gegenwart gerecht zu werden. Und wir kämpfen uns durch, irgendwie, selbst wenn wir uns dabei – vielleicht nur, um soviel wie möglich von unserem gesunden Menschenverstand zu erhalten – selbst einreden, daß die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sehr viel ergründbarer seien, als sie es in Wirklichkeit sind oder jemals sein können.
    Also, was ist geschehen?
    Ich habe den Rest meines langen Lebens damit verbracht, immer wieder zu denselben wenigen Augenblicken zurückzukehren, ohne zu einem Ziel zu gelangen.
    Ich glaube, es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an jene wenigen Augenblicke in der Folterkammer des Palastes von Efernze in der Stadt Haspide zurückdenke.
    Ich war nicht bewußtlos, dessen bin ich sicher. Die Ärztin redete mir nur ein, daß ich es für ein paar Augenblicke gewesen sei. Nachdem sie gegangen war und ich mich von meiner Trauer erholt hatte, wuchs in mir die Gewißheit, daß genau die Zeitspanne, von der ich gedacht hatte, daß sie vergangen sei, tatsächlich vergangen war. Ralinge war auf dem Eisenbett, in Stellung, sie zu nehmen. Seine Gehilfen standen ein paar Schritte entfernt, ich erinnere mich nicht genau, wo. Ich schloß die Augen, um mir diesen schrecklichen Anblick zu ersparen, und dann füllte sich die Luft mit sonderbaren Geräuschen. Einige Augenblicke – höchstens ein paar Herzschläge lang, dafür würde ich mein Leben verwetten – und da lagen sie alle, die drei, gewaltsam zu Tode gekommen, und die Ärztin war bereits von ihren Fesseln befreit.
    Wie? Was könnte sich möglicherweise mit solcher Schnelligkeit bewegen, um so etwas zu tun? Oder welcher Trick des Willens oder Geistes könnte angewendet werden, damit sie sich selbst so etwas antun? Und wie war es ihr gelungen, kurz danach so gelassen zu erscheinen? Je mehr ich zurückdenke an dieses Zwischenspiel zwischen dem Tod der Folterer und der Ankunft der Wachen, als wir nebeneinander in dem kleinen verbarrikadierten Versteck saßen, desto überzeugter bin ich, daß sie irgendwie wußte, wir würden gerettet werden, der König würde sich plötzlich an der Schwelle des Todes befinden und sie würde gerufen werden, um ihn zu retten. Aber wie konnte sie so ruhig und sicher sein?
    Vielleicht hatte Adlain recht, und es war Zauberei am Werk. Vielleicht hatte die Ärztin einen unsichtbaren Beschützer, der eiergroße Beulen an den Köpfen von Schurken hinterließ und unbemerkt hinter uns in das Verlies geschlüpft war, um die Metzger niederzumetzeln und die Ärztin aus ihren Fesseln zu befreien. Das erscheint beinahe wie die einzige vernünftige Antwort, dennoch ist sie die verrückteste von allen.
    Oder vielleicht habe ich wirklich geschlafen, ohnmächtig oder bewußtlos oder wie immer man es nennen möchte. Vielleicht ist meine unerschütterliche Überzeugung fehl am Platze.
     
    Was gibt es sonst noch zu erzählen? Lassen Sie mich nachdenken.
    Herzog Ulresile starb ein paar Monate nach der Abreise der Ärztin, in der Provinz Brotechen, wo er sich verborgen hielt. Die Ursache war ein schlichter Schnitt mit einem zerbrochenen Teller, der ihm eine Blutvergiftung einbrachte. Herzog Quettil starb ebenfalls kurze Zeit später an einer auszehrenden Krankheit, die sämtliche Gliedmaßen befiel und sie nekrotisch machte. Doktor Skelim vermochte nichts dagegen zu tun.
    Ich wurde Arzt.
    König Quience regierte noch weitere vierzig Jahre, bis zuletzt bei außergewöhnlich guter Gesundheit.
    Er hinterließ nur Töchter, deshalb haben wir jetzt also eine Königin. Mich stört das weniger, als ich gedacht hatte.
    In letzter Zeit ist man dazu
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