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Instrumentalität der Menschheit

Instrumentalität der Menschheit

Titel: Instrumentalität der Menschheit
Autoren: Cordwainer Smith
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einen Alptraum hineinziehen, der aus ewigem Fall bestand. Wann immer ihn dieses krank machende, schockierende, grausige, peinigende Gefühl des endlosen Sturzes überwältigte, mußte er sein Bewußtsein so lange vor der Telepathie verschließen, bis sich seine Kräfte regeneriert hatten.
    Er tastete mit seinen Gedanken nach den Dingen hoch über der Erde, nach ausgebrannten Weltraumsatelliten, die ihre mannigfaltigen Bahnen im Orbit zogen und ewig kreisten, Überreste der alten nuklearen Kriege.
    Er entdeckte einen Satelliten.
    Einen, der so alt war, daß er keine funktionierende kryotronische Kontrolle besaß. Seine Konstruktion war altmodisch jenseits jeglichen Vorstellungsvermögens; offenbar war er einst von chemischen Triebwerken aus der Erdatmosphäre hinauf in die Umlaufbahn gebracht worden.
    Er öffnete die Augen und verlor ihn sofort.
    So schloß er die Lider wieder und griff erneut mit seinem suchenden Geist hinauf, bis er das uralte herrenlose Wrack fand. Als seine Gedanken erneut danach tasteten, spannten sich seine Kiefermuskeln. Er spürte Leben in seinem Innern, Leben, das so alt war wie die archaische Maschine selbst.
    Binnen eines Augenblicks erhielt er Kontakt mit seinem Freund, dem Computer Tong.
    Er fütterte seine Beobachtungen in Tongs Bewußtsein. Äußerst interessiert, übermittelte Tong ihm einen Orbit, der die leicht parabolische Kreisbahn des alten Satelliten verändern und ihn hinunter in die Erdatmosphäre stürzen lassen würde.
    Laird nahm all seine Kräfte zusammen.
    Er bat seinen unsichtbaren Freund, ihn zu führen und durchforschte erneut den Plunder, der oben am Himmel glitzernd dahinschoß. Er entdeckte die uralte Maschine und versetzte ihr einen Stoß.
    Auf diese Weise, über sechzehntausend Jahre nachdem sie Hitlers Reich verlassen hatte, trat Carlotta vom Acht ihre Rückkehr zur Erde der Menschen an.
    In all diesen Jahren hatte sich Carlotta vom Acht nicht verändert.
    Die Erde schon.
     
    Die uralte Rakete erbebte. Vier Stunden später streifte sie die Stratosphäre, und ihre alten Kontrollen, die von der Kälte und der Zeit vor allen Veränderungen bewahrt worden waren, nahmen die Arbeit wieder auf. Und während sie sich erwärmten, schalteten sie sich ein.
    Die Rakete verließ endgültig ihre Kreisbahn.
    Fünfzehn Stunden später suchte sie nach einem Ziel.
    Elektronische Kontrollen, die seit Tausenden von Jahren brachgelegen hatten, draußen in der keinem Wandel unterworfenen Zeit des Weltraums selbst, begannen Ausschau zu halten nach den deutschen Ländern, suchten diese Länder mittels eines Rückkoppelungsmechanismus, der auf die charakteristischen Nazimuster von elektronischen Kommunikationskodes ansprach.
    Es gab keine.
    Wie hätte die Maschine das auch wissen können? Die Maschine hatte die Stadt Pardubice am 2. April 1945 verlassen, als die letzten Schlupfwinkel der Deutschen von der Roten Armee durchkämmt wurden. Wie konnte die Maschine auch wissen, daß es keinen Hitler, kein Reich, kein Europa, kein Amerika, keine Nationen mehr gab?
    Die Maschine war auf deutsche Kodes programmiert. Allein auf deutsche Kodes.
    Dies war ohne Einfluß auf den Rückkoppelungsmechanismus.
    Er hielt weiter Ausschau nach deutschen Kodes. Es gab keine. Der elektronische Computer in der Rakete begann ein wenig neurotisch zu werden. Er schnatterte wie ein wütender Affe, ruhte, schnatterte erneut und steuerte dann die Rakete in Richtung eines Objektes, das einen vagen elektrischen Eindruck machte. Die Rakete stürzte, und das Mädchen erwachte.
    Sie wußte, daß sie sich in der Box befand, in die ihr Vater sie gelegt hatte. Sie wußte, daß sie kein feiges Schwein war wie die Nazis, die ihr Vater verachtet hatte. Sie war ein gutes, preußisches Mädchen aus einer adeligen Offiziersfamilie. Ihr Vater hatte ihr befohlen, in diesem Behälter zu bleiben. Was Vati ihr auftrug, hatte sie immer getan. Das war das erste Gesetz für ein Mädchen von ihrer Art, für ein sechzehn Jahre altes Mädchen aus dem Junker-Stand. Der Lärm nahm zu.
    Das elektronische Geschnatter brauste zu einem wilden Durcheinander aus Klicklauten auf.
    Sie roch etwas furchtbar Schreckliches, etwas Verbranntes, etwas, das so grausig und faulig war wie Fleisch. Sie hatte Angst, daß sie es war, aber sie verspürte keine Schmerzen.
    »Vati, Vati, was geschieht mit mir?« rief sie ihrem Vater zu.
    (Ihr Vater war seit über sechzehntausend Jahren tot. Kein Wunder, daß er nicht antwortete.)
    Die Rakete begann sich zu drehen.
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