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Ins dunkle Herz Afrikas

Titel: Ins dunkle Herz Afrikas
Autoren: Stefanie Gercke
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hinüberzuhelfen. Sie fühlte sich, als taumelte sie durch die Kälte einer Weltraumnacht, so einsam war sie in diesem Moment.
    lan wandte sich ab. Mit hochgezogenen Schultern, den Kopf gesenkt, stand er da. »Entschuldige«, sagte er endlich tonlos, »es ist spät, wir sollten nach Hause fahren, ich bin ziemlich müde.« Die Worte zwischen ihnen fielen danach nur noch als schwere Tropfen in ein immer dichter werdendes Schweigen, bis sie schließlich ganz versiegten.
    Irgendwann in der Nacht fühlte sie seine Hand, die nach ihrer suchte. Sie zog ihre nicht weg und erwiderte seinen Druck. Seine Hand löste sich, glitt zu ihrer Schulter, verharrte dort, wartete auf ihre Reaktion. Sie spürte ihn, warm und vertraut. »Oh, mein Herz«, flüsterte sie und drehte sich zu ihm.
    Als sie tags darauf über den Auslöser der Szene nachdachte, fand sie keine Erklärung. Sie beschloss, das ungute Gefühl, das sich als heiße Säure in ihrem Magen sammelte, zu ignorieren. Jetzt ist Winter in Südafrika, dachte sie, im Januar und Februar ist es sowieso viel schöner, es ist noch viel Zeit, ich rede später mit ihm. Bei jeder noch so beiläufigen Erwähnung Südafrikas hatte sie dieses Versteifen seiner Muskeln, das Versteinern seiner Gesichtszüge beobachtet. »Gibt es da etwas, was ich nicht weiß? Sag es mir bitte, wie soll ich dich sonst verstehen?«, hatte sie mehr als einmal gefragt, aber er war ihren Fragen auf das Geschickteste ausgewichen, lenkte ab. Sie fand keinen Weg zu ihm, und irgendwann hatte sie aufgegeben. Sie schrieb sich in der Volkshochschule für den Spanischkurs für Anfänger ein und zwang sich zu einem Aerobic-Lehrgang, obwohl ihr ständig übel wurde von den Ausdünstungen der enthusiastisch herumturnenden Matronen, die durchweg Ende fünfzig waren und sie mit neidischen Blicken auf ihren straffen Körper ausgrenzten. Im Umkleideraum drehten sich die Gespräche um Männer, Geld und Männer, meist allerdings nicht um die eigenen. Außerdem wurde sie von der Anstrengung so hungrig, dass sie zwei Kilo zunahm. Entsetzt gab sie auf und hob stattdessen einen Teich im Garten aus, arbeitete
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    sich körperlich müde bis zum Umfallen. Um ihre rotierenden Gedanken auszuschalten, ließ sie die Kassette mit Spanischlektionen laufen, betete die unregelmäßigen Verben wie eine Litanei herunter.
    Es half nichts. Afrika ließ sie nicht los. In den düsteren Spätherbsttagen, wenn die Blätter von den Bäumen fielen, die Nebel wie Leichentücher die sterbende Natur bedeckten, wenn die bleiche Sonne ihren Kampf gegen den ersten Ansturm von Winterkälte verlor, hielt sie es kaum noch aus, dann erwischte sie sich dabei, dass sie die ersten Takte von »La Paloma« summte, durch die Zähne, immer und immer wieder - und sie fühlte sich so unendlich allein, dass es ihr die Luft abdrückte.
    Ihre Fröhlichkeit verschwand, sie verkroch sich, wurde zu einer Schneckenhausbewohnerin, und sie verlor ihre Wut, diese Wut, die ihr bisher immer zur Hilfe gekommen war, stets ihre letzten Kraftreserven mobilisiert hatte. Nun war kein Sturm mehr stark genug, sie aufzupeitschen.
    Äußerlich war ihr nichts anzumerken, sie lachte, machte Scherze oder weinte.
    Der Haushalt lief geräuschlos weiter. Aber irgendwie war alles eingeebnet. Und dann war da dieser Abstand, dieser winzige, abgrundtiefe Abstand zu lan. Sie vermied jeden Gedanken daran, zuckte davor zurück, als berührte sie rot glühendes Eisen. Sonnabends studierte sie die Stellenanzeigen im
    »Hamburger Abendblatt«, und im Dezember, ein paar Wochen nach ihrem Streit, trat sie eine Stellung als Sekretärin und Übersetzerin in einem Zweimannunternehmen an. Ihre Chefs waren zwei Brüder, und ihre Pflichten schlössen Kaffeekochen, Botengänge, Lügen am Telefon, wenn die Gattinnen sie suchten, und Blitzableiterdasein für wütende Kunden ein. Dann entdeckte sie Ungereimtheiten, beobachtete, dass der ältere Bruder den jüngeren betrog. Nach fünf Wochen kündigte sie. Danach verlor lan kein Wort mehr über eine Berufstätigkeit von ihr.
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    Eines Tages kam er mit einem großen Paket nach Hause, das ein umfangreiches Sortiment Ölfarben, Pinsel in jeder Stärke und ein paar schöne Leinwände, einen großen Skizzenblock und mehrere weiche Bleistifte enthielt. »Bitte«, sagte er, und es war klar, dass er meinte: Bitte, entschuldige ... bitte, es tut mir so Leid ... bitte, lass uns wieder richtig miteinander reden. Er liebte die Bilder, die sie malte, die Farben, leuchtende,
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