Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Inferno - Höllensturz

Inferno - Höllensturz

Titel: Inferno - Höllensturz
Autoren: Edward Lee
Vom Netzwerk:
hat?«
    So viel zum Medaillon.
    Aber die Erinnerungen waren ihr geblieben.
    Ob hellwach oder tief in Träumen versunken, die Erinnerungen ließen sie nicht los. Lissa war labiler gewesen, als selbst Cassie geahnt hatte. An jenem Abend im Goth House war es Lissas Freund Radu gewesen, der Cassie irgendeine bewusstseinsverändernde Droge ins Bier gemischt hatte. War es wirklich Cassies Schuld gewesen? Sie machte sich Vorwürfe, weil sie sich überhaupt in diesem Klub derart betrunken hatte. Doch der Therapeut hatte sich ein Jahr lang bemüht, ihr klar zu machen, dass Lissas Selbstmord nichts mit ihrem Verhalten zu tun gehabt hatte. Man hatte ihr Drogen gegeben. Und als Radu im Vorratskeller angefangen hatte, Cassie zu küssen, hatte Lissa plötzlich im Raum gestanden. Die Vorstellung, ihr Freund betrüge sie mit ihrer eigenen Schwester, war für ihre zerbrechliche Seele zu viel gewesen, und Lissa hatte sich ohne Zögern in den Kopf geschossen – vorher hatte sie allerdings noch Radu eine Kugel gewidmet. Ihr Gesicht hatte geglüht und Tränen waren ihr über die Wangen geströmt, als Lissa ihre letzten Worte an Cassie richtete: »Meine eigene Schwester … Wie konntest du mir das antun?« Noch ehe Cassie reagieren konnte, hatte es einen ohrenbetäubenden Knall gegeben, und sie hielt den Leichnam ihrer Schwester im Arm. Gehirn und Blut bespritzten die Wände und Cassies Gesicht.
    Tief drinnen glaubte Cassie zu wissen, dass sie nicht wirklich die Schuld an Lissas Selbstmord traf; und doch blieben die Schuldgefühle, wie eine mysteriöse Vergiftung, eine seelische Krebserkrankung, die überall ihre Metastasen verbreitete. Es spielte keine Rolle, dass man sie hereingelegt hatte, es war egal, dass sie betrunken gewesen war und Radu ihr Drogen ins Bier gemischt hatte. Die furchtbare Tatsache blieb: Lissa hatte sich getötet, weil sie dachte, Cassie habe sie betrogen.
    Nichts anderes zählte. Und das war die Erinnerung, die sie bis zum heutigen Tag verfolgte. Daher ihre Verzweiflung. Und wenn es das Letzte wäre, was sie in ihrem Leben tat: Cassie musste Lissa von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen und ihr sagen, dass ihr das alles unendlich Leid tat. Sie wusste, sie würde den Rest ihres Lebens damit verbringen, genau das zu versuchen – was für einen Laien vielleicht so absurd und verrückt klingen mochte, wie es den Ärzten in dieser psychiatrischen Anstalt vorkam. Wie konnte Cassie einem Menschen, der tot und begraben war, von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen?
    Unglücklicherweise war genau das der leichtere Teil für Cassie. Denn sie hatte nicht wenig Erfahrung im Umgang mit toten Menschen.

    »Das sind Xeke und Hush«, hatte Via im letzten Jahr ihre Freunde vorgestellt, als Cassie die drei Flüchtigen auf ihrem Dachboden entdeckt hatte. Via war vermutlich etwa achtzehn oder zwanzig, schlank, aber gut gebaut und mit einem zwar nicht unbedingt männlichen, aber doch jungenhaften Auftreten. Was Cassie am meisten stutzig machte, war ihre Aufmachung: glänzende Lederstiefel und eine schwarze Lederhose, Nietengürtel, ein absichtlich zerrissenes schwarzes T-Shirt und darüber eine schwarze Lederjacke. Nicht Gothic, eher später 70er-Punk. Buttons auf der Jacke bestätigten diese Einschätzung. THE GERMS, THE STRANGLERS, ein Button zeigte The Scream von Siouxsie and the Banshees. In weißen, unregelmäßigen Buchstaben stand SIC F*cks! auf ihrem Shirt.
    Via war eine der Toten. »Und das ist Cassie«, hatte sie die Vorstellung beendet. »Sie wohnt hier mit ihrem Vater.«
    Cassie drehte nicht einmal den Kopf, um die anderen anzusehen; nur ihre Augen bewegten sich. Xeke, der Junge, war ähnlich gekleidet: Spätsiebziger britischer Punk mit den dazugehörigen Buttons und Aufnähern (BRING BACK SID! und Do You Get The KILLING JOKE? und so weiter). Hätte sie nicht so unter Schock gestanden, wäre Cassie beeindruckt von seinem guten Aussehen gewesen – schlank, leicht getönte Haut, dunkle, eindringliche Augen in einem Gesicht, das zu einem männlichen italienischen Model hätte gehören können. An seinen Ohren baumelten kleine Fledermäuse aus Zinn, das lange pechschwarze Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden.
    In Xekes Augen stand geschrieben, dass er Cassie für eine Ikone hielt, und das Gleiche galt für den dritten Hausbesetzer, das andere Mädchen. Wie war noch mal ihr Name? , dachte Cassie. Hush?
    »Hush kann nicht sprechen«, erklärte Via. »Aber sie ist total in Ordnung.«
    Cassie hörte wie aus weiter
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher