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Inés meines Herzens: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Inés meines Herzens: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Inés meines Herzens: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Isabel Allende
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des Landes erreichten uns ungezählte Beileidsbekundungen. Jahre zuvor waren die Bewohner der Stadt auf die Straßen geströmt und hatten mit Blumen und Salutschüssen seine Ernennung zum Gouverneur gefeiert. Nun trugen wir ihn mit der ihm gebührenden Ehre in der Kirche unserer Señora de las Mercedes zu Grabe, die er und ich zum Ruhme unserer heiligsten Jungfrau hatten errichten lassen und in der sehr bald auch meine Knochen ihre letzte Ruhe finden werden. Ich habe den Barmherzigen Brüdern ausreichend Geld vermacht, damit sie dreihundert Jahre hindurch allwöchentlich eine Messe lesen für den Frieden der Seele des edlen Ritters Don Rodrigo de Quiroga, der ein tapferer Soldat Spanienswar, Adelantado, Konquistador und zweimaliger Gouverneur Chiles, Ritter des Santiagoordens, mein Ehemann. Diese Monate ohne ihn sind mir eine Ewigkeit geworden.
    Ich sollte nicht vorgreifen. Wenn ich die Ereignisse meines Lebens ohne Strenge und Ordnung schildere, werde ich mich auf dem Weg verlieren; eine Chronik hat dem natürlichen Verlauf der Geschehnisse zu folgen, auch wenn die Erinnerung ein Wirrsal ohne Logik ist. Ich schreibe nachts an Rodrigos Pult, eingehüllt in seine Alpakadecke. Der vierte Baltasar wacht bei mir, der Urenkel des Hundes, der mit mir nach Chile kam und mich vierzehn Jahre hindurch begleitet hat. Dieser erste Baltasar starb 1553, im selben Jahr, in dem Valdivia getötet wurde, aber er hat mir seine Nachkommen hinterlassen, die alle groß sind wie Kälber, mit tolpatschigen Pfoten und drahtigem Fell. Es ist kalt in diesem Haus, trotz der Teppiche, Vorhänge und Tapisserien und obwohl die Dienerschaft die Kohlebecken stets mit Glut füllt. Wie oft hast Du Dich beklagt, Isabel, man könne in diesen Wänden vor Hitze nicht atmen; die Kälte muß wohl in mir selbst sein. Daß ich meine Erinnerungen und Gedanken mit Tinte zu Papier bringen kann, verdanke ich dem Gottesmann González de Marmolejo, der neben seiner Arbeit, den Wilden das Evangelium zu bringen und den Christen Trost, die Zeit fand, mich lesen und schreiben zu lehren. Damals war er Feldkaplan, doch sollte er der erste Bischof von Chile werden und obendrein der reichste Mann im Land. Auch sein letztes Hemd hatte keine Taschen, jedoch ist die Spur seiner guten Taten geblieben, die ihm die Liebe der Menschen eintrugen. Am Ende besitzt man nur, was man gegeben hat, sagte Rodrigo, der weitherzigste Mensch, den es je gab.
    Beginnen wir also mit meinen frühesten Erinnerungen. Ich bin in Plasencia geboren, einer wehrhaften und gottesfürchtigen Grenzstadt im Norden der Extremadura. Das Haus meines Großvaters, in dem ich aufwuchs, liegt bloßeinen Steinwurf von der Kathedrale entfernt, die liebevoll die Alte genannt wird, obwohl sie nur aus dem 14. Jahrhundert stammt. Meine Kindheit verbrachte ich im Schatten ihres sonderbaren, mit steinernen Schuppen bedeckten Turms. Die dicke Wehrmauer rings um die Stadt habe ich seit meinem Fortgang nicht wiedergesehen, nicht den hohen Himmel über der Plaza Mayor, die schattigen Gäßchen, steinernen Stadtpaläste und Arkadengänge und auch nicht das bescheidene Haus meines Großvaters, in dem noch heute die Enkel meiner ein paar Jahre älteren Schwester leben. Mein Großvater, der von Beruf Kunsttischler war, gehörte der Bruderschaft vom Wahren Kreuz an, eine Ehre, die seine ärmlichen Verhältnisse überstrahlte. Die Laienbruderschaft unterstand dem ältesten Kloster der Stadt und führte in der Karwoche die Prozessionen an. Im violetten Habit mit gelber Kordel und weißen Handschuhen trugen mein Großvater und seine Mitbrüder das heilige Kreuz. Seine Kutte war blutbefleckt, weil er sich geißelte, um mit Christus das Leiden auf dem Weg nach Golgatha zu teilen. In der Karwoche blieben die Fensterläden der Häuser geschlossen, das Licht der Sonne wurde ausgesperrt, man fastete und sprach nur im Flüsterton; das Leben war einzig beten, seufzen, beichten und büßen.
    An einem Karfreitag erwachte meine Schwester Asunción, die damals elf Jahre alt war, mit den Wundmalen Christi in den Handflächen, zwei grauenvollen offenen Fleischwunden, und ihre ins Weiße verdrehten Augen waren zum Himmel gerichtet. Mit zwei Backpfeifen holte meine Mutter sie ins Diesseits zurück und kurierte sie mit Umschlägen aus Spinnweben an den Händen und einer strengen Diät aus Kamilleaufgüssen. Sie mußte im Haus bleiben, bis die Wunden restlos verheilt waren, und auf Geheiß unserer Mutter durften wir die Angelegenheit mit keiner Silbe
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