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In fremderen Gezeiten

In fremderen Gezeiten

Titel: In fremderen Gezeiten
Autoren: Tim Powers
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Art von Erfüllung schenken würde, wenn er beobachtete, wie dieser verängstigte kleine Mann am Boden lag und an seinem eigenen Kehlkopf erstickte. Er verlagerte seinen Griff an den Kragen des Mannes.
    » Wer … bist du?«, krächzte Sebastian Chandagnac mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen.
    Plötzlich begriff Shandy, dass er, glattrasiert und mit all den neuen Falten von Alter und Erschöpfung in seinem Gesicht große Ähnlichkeit mit seinem Vater haben musste, wie Sebastian ihn das letzte Mal gesehen haben musste … und natürlich wusste dieser Mann nicht, dass sein Neffe John Chandagnac in die Karibik gekommen war.
    Nachdem er beschlossen hatte, ihn nicht zu töten, stellte Shandy fest, dass er sich nicht bezähmen konnte, die Schuldgefühle des Mannes anzufachen. » Sieh mir in die Augen«, flüsterte er mit erstickter Stimme.
    Der alte Mann gehorchte, wenn auch unter großem Zittern und Stöhnen.
    » Ich bin dein Bruder, Sebastian«, sagte Shandy mit zusammengebissenen Zähnen. » Ich bin François.«
    Das Gesicht des alten Mannes war fast purpurn. » Ich habe gehört, du seist … gestorben. Wirklich gestorben, meine ich.«
    Shandy grinste wild. » Das stimmt – aber hast du noch nie von Vodun gehört? Ich bin heute Abend aus der Hölle zurückgekommen, um dich zu holen, lieber Bruder.«
    Anscheinend hatte Sebastian von Vodun gehört und fand Shandys Behauptung nur allzu plausibel; die Augen rollten ihm im Kopf zurück, und mit einem scharfen Aufstöhnen, als hätte er einen Hieb in den Magen bekommen, erschlaffte er.
    Überrascht, aber nicht wirklich entsetzt, ließ Shandy ihn zu Boden fallen.
    Dann sprangen Shandy und der kahlköpfige Mann beinahe Seite an Seite zur Treppe; vermutlich verfolgte Edmund Morcilla den Piraten, aber es war schwer, sicher zu sein, dass sie nicht beide das gleiche Ziel hatten. Einige Männer mit Schwertern sprangen ihnen schnell in den Weg und wichen ihnen noch schneller wieder aus, und einen Moment später rannte Shandy, immer drei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf. Er keuchte und betete, dass er nicht jetzt schon ohnmächtig wurde.
    Oben an der Treppe war ein Flur und er hielt dort inne. Seine Brust wogte, als er sich zu dem Mann umdrehte, der sich Morcilla nannte und der zwei Stufen unterhalb des Treppenabsatzes stehen geblieben war. Seine Augen waren auf gleicher Höhe mit denen Shandys.
    » Was … wollt Ihr?«, stieß Shandy atemlos hervor.
    Das Lächeln des Riesen wirkte engelsgleich auf seinem glatten Gesicht. » Die junge Frau.«
    Unten wurden weitere Rufe laut, und man hörte es krachen, und Shandy schüttelte ungeduldig den Kopf. » Nein. Vergesst es. Geht wieder nach unten.«
    Der kahlköpfige Mann hob sein Schwert. » Ich würde Euch lieber nicht töten, Jack, aber ich verspreche, dass ich es tun werde, wenn es sein muss, um sie zu bekommen.«
    Shandy ließ die Schultern mutlos sinken und Linien der Erschöpfung und der Verzweiflung auf seinem Gesicht erscheinen – und dann stürzte er sich vorwärts, schlug den Degen des Riesen mit dem linken Unterarm gegen die Wand, während er ihm mit der Rechten den eigenen Degen in die breite Brust stieß. Nur die Tatsache, dass der kahlköpfige Mann stehen blieb, hinderte Shandy daran, mit dem Kopf voraus die Treppe hinunterzustürzen. Shandy gewann das Gleichgewicht zurück, hob den rechten Fuß und pflanzte ihn auf die breite Brust des Mannes neben die Stelle, wo die Klinge sie fixierte, dann trat er zu und richtete sich auf, und der Kahlköpfige fiel rücklings die Treppe hinunter. Ausrufe des Entsetzens und der Überraschung brachen in dem allgemeinen Getöse unten aus.
    Shandy drehte sich um und schaute den Flur hinunter. Einer der Türknäufe war aus Holz und er sprang darauf zu. Die Tür war verschlossen, daher stemmte er sich gegen die Wand gegenüber, hob den Fuß und trat in einer Wiederholung der Bewegung, die seine Degenklinge aus Morcillas Brust befreit hatte, die Tür ein. Das hölzerne Schloss zersplitterte, die Tür flog nach innen auf, und Shandy ließ seinen Säbel fallen, während er in den Raum stürzte.
    Er schaute von seinen Händen und Knien auf. Eine Lampe erhellte den Raum, aber die Szene, die sie ihm zeigte, war alles andere als beruhigend: Abscheulich riechende Blätter waren überall auf dem Boden verstreut, irgendjemand hatte mehrere abgetrennte Hundeköpfe an die Wände gehängt, eine offensichtlich schon seit langem tote schwarze Frau lag in einer Ecke, und Beth Hurwood kauerte
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