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In alter Freundschaft - Kriminalroman

In alter Freundschaft - Kriminalroman

Titel: In alter Freundschaft - Kriminalroman
Autoren: Grafit
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nicht weiß, wo der Trend läuft, ist man verraten und verkauft. Warum haben wir ihn nicht viel früher rausgeschmissen?«
    »Ich fand ihn nett«, protestierte ich halbherzig.
    »Nett, nett«, grummelte Willi. »Nettigkeit alleine reicht nicht. Unsere Abteilungsleiter müssen was drauf haben. Ich sage dir, wenn wir bei der Auswahl unseres Personals nicht härtere Kriterien anlegen, kommen wir nie auf einen grünen Zweig.«
    »Wie hat Werner das verkraftet?«, erkundigte ich mich.
    »Den Job in der Auslieferung wollte er nicht. Also haben wir uns auf eine Abfindung geeinigt.« Willi drückte auf eine Taste: »Was die Umsatzanteile angeht: Hier siehst du das Ganze als Tortendiagramm.«
    Tatsächlich sah ich so etwas Ähnliches wie eine Torte, mit roten, blauen, gelben und grünen Stücken.
    Willi zeigte auf das rote Stück: »Das da ist die Kleiderabteilung. Und das …«, sein Finger wanderte zum grünen Stück, »… sind die Münzen und Briefmarken. Umsatzmäßig seit Monaten rückläufig. Die zentrale Lage im Erdgeschoss scheint mir nicht länger gerechtfertigt.«
    »Auf keinen Fall wird daran etwas geändert«, sagte ich mit erhobener Stimme. » Meine Münzen und meine Briefmarken bleiben, wo sie sind.«
    »Aber …«
    »Sie bleiben«, entschied ich. »Vielleicht muss die Schaufensterdekoration geändert werden. Und in unserer Werbekampagne scheinen sie mir auch nicht ausreichend berücksichtigt.«
    Willi zog die Augenbrauen hoch. Als er noch in seiner esoterischen Phase war, Schamanismus und Astrologie betrieb, hatte ich mich besser mit ihm verstanden. Aber vermutlich wäre er damals als Leiter eines Kaufhauses völlig ungeeignet gewesen.
    »Wie du meinst«, sagte er mit leichter Bitterkeit.
    »Ich gehe in mein Büro«, verkündete ich. »Die Post der letzten Tage durchsehen.«
    »Übrigens, Carlo Ponti hat nach dir verlangt«, rief er mir nach.
    Ich drehte mich um. »Wer?«
    »Carlo Ponti. Die Szene-Größe. Die lebende Musiker-Legende. Der Discotheken-Mogul.«
    Natürlich kannte ich Carlo Ponti. Wer kannte ihn in Münster nicht?
    »Und was wollte er?«
    »Mit dir reden. Möglichst vorgestern, wenn ich ihn richtig verstanden habe.«
    »Ein Auftrag?«
    »Was weiß ich? Ich bin mit meinem Kram schon genug beschäftigt. Wenn du mich fragst, solltest du endlich eine eigene Sekretärin einstellen. Es ist ein Unding, dass deine Detektivgeschichten immer zu mir durchgestellt werden.«
    »Ich frag dich aber nicht«, sagte ich. »Falls mich jemand sucht: Ich bin bei Carlo Ponti.«
    »Ich werd's Tanjas Vater sagen«, höhnte Willi.
    Irgendwie hatte sein Charakter gelitten, seitdem er Manager geworden war.
     
    Carlo Pontis Reich liegt an der Steinfurter Straße, einer vierspurigen Ausfallstraße, die die westfälische Provinzmetropole mit so unbedeutenden Käffern wie Burgsteinfurt, Ahaus und Gronau verbindet. Hier hatte Ponti der Stadtverwaltung ein altes Hallenbad abgekauft und daraus eine Art Vergnügungscenter gemacht, mit einer Kneipe, einem Restaurant und – als Clou des Ganzen – einem wechselweise als Konzerthalle oder Discothek zu verwendenden Saal anstelle des alten Schwimmbassins. Ein geschickter Innenarchitekt hat einen Touch von Badeanstalt erhalten (der Boden der Tanzfläche ist hellblau gekachelt), und deshalb heißt der Komplex, für alle Vergnügungssüchtigen aus Münster und Umgebung ein Begriff: Bad.
    Carlo Ponti ist natürlich ein Künstlername. In den Siebzigern spielte Carlo als Schlagzeuger in den Bands von mehreren mittleren Rock-Größen. Später machte er auch vor seichten Schlageraffen nicht halt und so verdiente er sich eine goldene Nase. Seine künstlerische Leistung blieb vor allem unter Musikkritikern umstritten. Einige meinten, er habe halt das Glück gehabt, zufällig an der richtigen Stelle gewesen zu sein, als sich Rio Reiser und Herbert Grönemeyer nach einem Schlagzeuger umguckten. Sicher aber war Carlo Ponti clever genug, um nicht bis zur vorgezogenen Rente durch immer kleinere Konzertsäle zu tingeln. Rechtzeitig hatte er sich in Münster eine zweite Existenz aufgebaut, wahrscheinlich aus Heimatverbundenheit, denn er stammte aus einem winzigen Dörfchen im Emsland, jenem unsäglich tristen und langweiligen Landstrich, der nördlich von Münster beginnt und irgendwann abrupt ins Meer kippt.
    Nur gelegentlich stieg Carlo Ponti noch auf die Bühne. Und dann und wann begleitete er einen Rock-Opa auf der allerletzten Abschiedstour. Er machte das weniger aus finanziellen Gründen, mehr,
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