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Im Wettstreit der Gefühle (German Edition)

Im Wettstreit der Gefühle (German Edition)

Titel: Im Wettstreit der Gefühle (German Edition)
Autoren: Ester D. Jones
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Überlegen beschloss George, einen Spaziergang zu machen. In seinem Schlafzimmer drohte er zu ersticken. Vielleicht ermüdeten ihn die Bewegung und die frische Luft genug, um endlich entspannen zu kommen. Er musste dringend raus. Allein diese Entscheidung nahm einen Teil des Drucks von seinem Brustkorb. Vermutlich arbeitete er zu viel. George kleidete sich rasch an und verließ das Haus.
    Zufrieden atmete er die kühle, nach Feuchtigkeit riechende Nachtluft ein. Überrascht stellte er fest, dass er sich so glücklich wie schon Jahre nicht mehr fühlte. Im letzten Monat hatte er langsam das Vertrauen und den Respekt der Menschen erworben. Nachdem er ihnen die Wahl gelassen hatte, die Plantage zu verlassen oder als bezahlte Angestellte mitzuarbeiten, hatten sich alle ausnahmslos entschlossen, auf Rosewood zu bleiben. Die Arbeit machte ihm Spaß und er genoss die Verantwortung, die er für die Menschen hier trug. Zumindest die meiste Zeit. Wenn alles nach Plan lief.
    Da das bis auf zwei, drei Mal bei kleineren Problemen der Fall gewesen war, konnte er sich auf das Leben abseits der Arbeit konzentrieren. Er begann unter den Angestellten Freunde zu finden. Alex zum Beispiel ging zwar immer noch in Abwehrstellung, wenn er ihm zu private Fragen stellte, aber er wurde zunehmend zutraulicher. George war sicher, dass er dem Jungen helfen konnte, es in seinem Leben weit zu bringen.
    Vielleicht war er dabei, sein Herz an dieses wunderschöne Stück Land und die Menschen darauf zu verlieren.
    Inzwischen war er bei seiner Wanderung an dem großen Eingangstor von Rosewood angekommen. Diese Seite des Landes wurde durch eine zwei Meter hohe, dicke Mauer von der Straße abgetrennt. Die Zufahrt selbst wurde von einem großen, breiten Bogen überspannt. Im Licht des Vollmondes konnte er die Details der Umgebung genau erkennen. An der höchsten Stelle des Tors entdeckte George plötzlich eine Gestalt in Weiß.
    Überrascht blieb er stehen. Sollte das etwa das Gespenst sein, von dem ihm Mrs. Moore letzte Woche erzählt hatte? Einer der Arbeiter hatte diese Phantasterei das erste Mal erwähnt, als er sich eine Woche zuvor geweigert hatte, spät abends auf einem Feld nach dem Rechten zu sehen. Er hatte behauptet, dass das Gespenst dort sein Unwesen treiben und ihm etwas Schreckliches antun würde. Dabei hatte sein Gesichtsausdruck gewirkt, als hätte George von ihm verlangt, für eine Handvoll Erbsen mit nackten Füßen über glühende Kohlen zu laufen – bis ans Ende der Welt. Die Angst des Mannes vor dem Gespenst resultierte offensichtlich aus einer tiefen Überzeugung von dessen Existenz.
    George hingegen glaubte nicht an solchen Schabernack. Er war zu vernunftgesteuert und kopflastig. Auf dieser Welt existierte seiner Erfahrung nach nichts Übernatürliches. Wenn er nach einem logischen Grund für etwas unheimlich Erscheinendes gesucht hatte, hatte er ihn bislang stets in einem wissenschaftlich erklärbaren Phänomen gefunden.
    Die Gestalt bewegte sich und George konnte erkennen, dass es sich um eine junge Frau mit hüftlangem, goldglänzendem Haar handelte. Fasziniert beobachtete er sie. Leider wandte sie ihm ihr Gesicht nicht zur Gänze zu, doch er war sich dennoch sicher, dass er sie auf Rosewood noch nie gesehen hatte.
    Das Mädchen erinnerte ihn an etwas oder jemanden, doch es wollte ihm nicht einfallen. Ihr Bild erzeugte eine verzerrte Spiegelung in seinem Kopf. Ein ärgerliches Gefühl. Doch seltsamerweise rührte die Frau an sein Herz, und er spürte eine starke Zärtlichkeit in sich aufsteigen. Diese Fremde brachte seinen Puls förmlich zum Rasen.
    Er war all die Jahre nicht sonderlich an Frauen interessiert gewesen, obwohl sein Vater ihn stets gedrängt hatte, sich eine Frau aus gutem Hause zu suchen ganz nach dem Vorbild seines großen Bruders. George hatte sich allerdings lieber um die Arbeit gekümmert, hatte seine Freizeit mit der Lektüre landwirtschaftlicher Zeitschriften verbracht und war sicher gewesen, irgendwann die richtige Frau durch Zufall zu finden. Dass sie plötzlich vor ihm erscheinen würde, wie eine verführerische Fata Morgana.
    Der Moment schien gekommen. Sein Bruder hätte ihn für diese Vermutung ausgelacht, weil er nicht verstand, welch ironische Wendungen das Schicksal bereithielt. Doch selbst dass dieser Gedankengang seinen Bruder beinhaltete, weckte diesmal keine schlechten Gefühle in ihm, da sich all seine Sinne auf die Fremde konzentrierten.
    Was konnte er tun, damit sie auf ihn aufmerksam wurde?
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