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Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman

Titel: Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman
Autoren: Bastei Lübbe
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wartete. Praytor ging auf Henri los, verpasste ihm einen Schlag, der heftig genug war, dass er zu Boden ging. »Nachdem Henri tödlich verletzt war, hetzte Bernadette die Hunde auf ihn.«
    Clifton veränderte leicht sein Gewicht, er atmete tief durch. »Meine Hunde machen nur, was man ihnen sagt.«
    Raymond zündete sich eine weitere Zigarette an. »Lassen Sie sich mit Ihren Hunden nicht mehr in der Stadt blicken. Ich will sie nicht mehr sehen.«
    Schweigen. So viel Leid und Zerstörung! Bernadette, Marguerite und Praytor waren tot. Raymond hatte die Teile des Puzzles zusammengesetzt und ein Bild vor Augen, trotzdem würde sich nie mit Bestimmtheit sagen lassen, wer als Erstes den Plan dazu ausgeheckt hatte. Selbst wenn Adele überleben sollte, würde sie sich – so der Doc – höchstwahrscheinlich an vieles nicht mehr erinnern können.
    »Danke, Deputy Thibodeaux.« Clifton trat von der Veranda und verschwand in der Dunkelheit. »Adele wird es Ihnen danken. Wenn sie überlebt.«
    Raymond blieb am Geländer stehen. Das Sitzen war für seinen Rücken am schmerzhaftesten; er wäre zwar gern spazieren gegangen, wollte Adele aber auch nicht allein lassen. Wahrscheinlich bildete er sich nur ein, dass ihr seine Anwesenheit half, während sie mit dem Tod rang. Trotzdem hielt er an dieser Vorstellung fest.
    Ein Schatten trat in das Mondlicht auf dem Rasen. Raymond erstarrte. Die Gestalt einer Frau kam auf ihn zu, umhüllt von einem silbrigen Lichtschimmer.
    »Madame«, sagte er, als er sie erkannte. »Du hast mich ganz schön erschreckt.«
    Sie ergriff die Hand, die er ihr hinstreckte, um ihr über die Stufen auf die Veranda zu helfen. »Wie geht es Adele?«
    »Der Doc hüllt sich in Schweigen. Wir müssen einfach warten.« Er zögerte. »Würdest du sie gern sehen?«
    »Dr. Fletcher hat es wahrscheinlich nicht gern, wenn eine Alte aus den Sümpfen ihm bei seinen Patienten dazwischenpfuscht.«
    Raymond konnte ihr Gesicht nicht erkennen, aber ihr belustigter Tonfall war nicht zu überhören. Madame hatte sich noch nie darum gekümmert, was Mediziner von ihr hielten. »Es bleibt unter uns«, sagte er. »Sie ist gleich hier.« Er führte sie zu den Flügelfenstern, die breit und hoch genug waren, um bequem hindurchgehen zu können.
     
    Florence saß auf einer Bank im kleinen Stadtpark. Im Sommer war der von Eichen überschattete Spielplatz von Kinderlachen erfüllt, weshalb sie den Ort mied. Heute aber hatte die kühle Novemberwitterung die Kinder nach Hause zu den offenen Kaminen und dem Gumbo-Duft der Küchen getrieben. Der Park war leer, die Schaukeln knarrten in den gelegentlichen Windböen, die das Eichenlaub zu Boden wehten.
    Stella und Vincent Matthews waren in der Kirche, wo Michael Finley sie über den Tod ihrer Mutter hinwegzutrösten versuchte. Ihr Vater war in Houma ausfindig gemacht worden und befand sich auf dem Weg nach New Iberia.
    Florence wollte sich das alles nicht ansehen. Der Tod war ein Gast, der einem immer die geliebten Menschen raubte. Sie hatte den Kindern keinen wirklichen Trost zu bieten. Und ihnen zu sagen, dass Bernadette eine mordgierige Schlampe gewesen war, würde ihnen auch nicht weiterhelfen. Egal, was sie getan hatte, ihre Kinder würden sie trotzdem lieben.
    Eltern hinterließen bei ihren Kindern immer Spuren. Hier auf der harten Parkbank sah Florence vor sich, wie ihr eigenes Leben von den Narben ihrer Mutter, ihren Schuld- und Reuegefühlen, geprägt worden war.
    Trotzdem wollte sie ein Kind. Zwei eigentlich. Einen Jungen und ein Mädchen. Gleichgültig, wie sehr sie bislang versucht hatte, sich das Gegenteil einzureden, jetzt wusste sie, was ihr Herz begehrte. Sie würde Fehler machen, die Kinder würden unter ihrer Vergangenheit zu leiden haben, aber sie würde ihnen auch ihre Liebe geben können. Die Liebe würde alle Irrtümer aufwiegen.
    Sie zog sich ihren Pullover enger um den Hals. Der Tag war längst vorüber, die Temperaturen fielen stetig. Jenseits des Parks, hinter dem Teche, verteilten sich die Sterne am schwarzen Himmel. Zeit, nach Hause zu gehen.
    Sie starrte auf ihre noch immer jugendlichen Hände. Es waren weiche Hände, sie hatte kaum je körperlich gearbeitet. Sie hatte sich entschieden, ihren Lebensunterhalt mit Dingen zu verdienen, bei denen sie keine Schwielen an den Händen davontrug. Und damit hatte sie nie zugelassen, das ihre seelischen Narben verheilten. Doch damit war es jetzt vorbei.
    Sie verlagerte das Gewicht. Raymond würde entweder kommen oder auch nicht.
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