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Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Titel: Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)
Autoren: Jim al-Khalili
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Einzelnen? Nun, viel aufschlussreicher ist die Geschichte eines anderen Physikers aus Pakistan, des größten muslimischen Wissenschaftlers im 20. Jahrhundert. Er hieß Abdus Salam (1926–1996) und erhielt 1979 gemeinsam mit zwei Amerikanern (Sheldon Glashow und Steven Weinberg) den Nobelpreis für Physik; geehrt wurde er für seinen Anteil an der Entwicklung einer Theorie der elektroschwachen Wechselwirkung, einer der schönsten und einflussreichsten wissenschaftlichen Theorien; sie beschreibt, wie zwei der vier grundlegenden Kräfte der Natur (die elektromagnetische Kraft und die Kraft des radioaktiven Atomkernzerfalls) zusammenhängen. Nach meiner Überzeugung gibt es keinen Zweifel, dass diese Arbeiten ihn zum größten Physiker der islamischen Welt seit 1000 Jahren machen. Eine einflussreichere Gestalt als ihn gab es auf dem Fachgebiet seit Ibn al-Haytham und al-Biruni nicht mehr.
    Abdus Salam wurde 1926 im Punjab geboren; sein Name ist eigentlich eine westliche Verballhornung (die er aus Gründen der Bequemlichkeit bereitwillig akzeptierte) des Vornamens Abd al-Salam. Sein Leben als Muslim stand immer unter dem Schatten seiner Zugehörigkeit zur Ahmadiyya, einer relativ obskuren Sekte, die vermutlich weltweit rund zehn Millionen Mitglieder hat, davon die Hälfte in Pakistan. Obwohl Salam ein gläubiger Muslim war, wurde er wegen seiner unorthodoxen religiösen Überzeugungen in den 1970er Jahren aus der muslimischen Gemeinschaft Pakistans ausgeschlossen. Dennoch bewahrte er sich die Loyalität zu seinem Land und arbeitete unermüdlich, um die Wissenschaft zu fördern. Aber Salams Traum von einer Renaissance der Wissenschaft in der islamischen Welt verwirklichte sich nie, und er hinterließ die folgende vernichtende Anklage: »In allen Zivilisationen auf diesem Planeten ist die Wissenschaft in den Staaten des Islam am schlechtesten. Die Gefahren dieser Schwäche kann man nicht deutlich genug betonen, denn das ehrenvolle Überleben einer Gesellschaft hängt unter den Umständen der gegenwärtigen Zeit unmittelbar von ihrer Wissenschaft und Technologie ab.« [219]
    Dennoch wäre es ein gewaltiger Fehler, den religiösen Konservativismus allein für den Mangel an wissenschaftlichem Fortschritt in der muslimischen Welt verantwortlich zu machen. Viel bedeutsamer sind die veralteten Verwaltungs- und Bürokratiesysteme, die viele muslimische Staaten vor langer Zeit von ihren Kolonialherren geerbt und bis heute nicht modernisiert haben, aber auch der Mangel an politischem Willen, Reformen in Angriff zu nehmen, die Korruption zu bekämpfen und die versagenden Bildungssysteme, Institutionen und Einstellungen zu verbessern. Glücklicherweise hat hier mittlerweile ein schneller Wandel eingesetzt.
    Wenn religiös-konservative Einstellungen in der muslimischen Welt die Hauptschuld an einer rückwärtsgewandten Haltung gegenüber der Wissenschaft tragen, sollten wir auch in der übrigen Welt wachsam sein: Wir müssen feststellen, dass die Wissenschaft heute von vielen Religionen und Glaubensgemeinschaften unter Beschuss genommen wird. Selbst in den sogenannten »aufgeklärten« Industrieländern begegnet uns ein beunruhigend großer Anteil der Bevölkerung, der Wissenschaft mit Misstrauen oder sogar mit Angst betrachtet. Verstärkt wird dies dadurch, dass Wissenschaft eine immer wichtigere Rolle in unserem Leben spielt, sei es in der Technik, der Medizin, dem Umgang mit Klimawandel und schwindenden Ressourcen oder der Untersuchung grundsätzlicher Fragen nach dem Universum und unserem Platz darin. Nirgendwo ist die Gegenreaktion auf die rationale Wissenschaft deutlicher zu erkennen als im Aufstieg des Kreationismus in den Vereinigten Staaten und Teilen Westeuropas. Der gegenwärtige Streit zwischen Evolutionsbiologen und den Vertretern des »Intelligent Design« zeigt, dass die Spannungen zwischen Wissenschaft und Religion sich bei weitem nicht nur auf die muslimische Welt beschränken.
    Viele Menschen fürchten sich vor der Wissenschaft und machen sie sogar für die Probleme der Welt verantwortlich. Lässt man einmal die echten, rationalen Sorgen beiseite, die viele Menschen wegen der globalen Katastrophe des Klimawandels, wegen Krankheitsepidemien oder wegen schwindender Energie- und Wasservorräte hegen – alles Probleme, die sich nur mit verantwortungsbewussten wissenschaftlichen Lösungen beheben lassen –, so bleiben viele andere Bedenken: wegen gentechnisch veränderter Nutzpflanzen zur Herstellung von
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