Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Bann der Lilie (Complete Edition)

Im Bann der Lilie (Complete Edition)

Titel: Im Bann der Lilie (Complete Edition)
Autoren: Carol Grayson
Vom Netzwerk:
dem Bankier, der auf den gelungenen Handel noch anstoßen wollte, und verließ das Haus. Es war früh am Abend, und er wollte die Zeit nutzen, um nach einem Goldschmiedemeister zu suchen. Maître Mollet übernahm diese diffizile und dringende Aufgabe mit großem Vergnügen, nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass sein Auftraggeber so solvent war, wie er vorgab zu sein. Sofort schloss er seinen Laden und machte sich in seiner Werkstatt an die Arbeit. Bis zur Fertigstellung der Ringkopie empfahl er Marcel, in der Pension der Witwe Dupont nur ein paar Straßen weiter abzusteigen und am kommenden Abend sein Werk abzuholen. Der junge Chevalier befolgte diesen Rat und traf am nachfolgenden Abend wieder ein. Mit dem Resultat war er äußerst zufrieden. Die Kathedrale von Chartres lag neunzig Kilometer südwestlich von Paris. Er würde also etwa drei Nachtritte benötigen, um dort anzukommen. All das lag im Rahmen, denn er hatte noch eine ganze Woche Zeit bis zur Nacht der Toten.

Marie Devereaux langweilte sich. Eine Ehe mit einem Aristokraten hatte sie sich anders vorgestellt, aufregender, mit Bällen, Jagden und vielen Reisen an der Hand eines aufmerksamen Gatten. Weit gefehlt. Sie bemerkte durchaus, dass der Marquis ihrem Bruder weitaus mehr zugetan war als ihr. Seit der Hochzeitsnacht teilte er das Bett nicht mehr mit ihr. Tagsüber bekam sie ihn nie zu Gesicht, und angeblich dringende Geschäfte ließen ihn seiner Angetrauten oft nur einen Gruß im Vorübergehen zuwerfen. Auch ihr Bruder hatte sich immer mehr von ihr zurückgezogen. Es schien ihr, als würden die beiden Männer in einer ihr unzugänglichen Welt leben. Wenn sie denn einmal einen Abend zu dritt verbrachten, konnte sie beobachten, wie ihr Bruder und der Marquis die gegenseitige Nähe suchten. Zufällige Berührungen, vielversprechende Blicke, ein Lächeln hier und da, aber immer fehlte der offensichtliche Beweis einer intimeren Zuneigung. Dennoch, der Reiz des Verbotenen lag in der Luft. Genau das weckte ihre ureigensten Sehnsüchte nur noch mehr. Sie fühlte sich von allem ausgeschlossen. Ihre einzige Abwechslung bestand darin, in den vornehmen Pariser Läden einzukaufen oder bei ihrer Schneiderin neue Roben zu bestellen. Die wenigen Gesellschaften, die der Marquis mit ihr besuchte, waren die einzigen Lichtblicke in ihrem eintönigen Leben. Wie gern ergriff sie da die Gelegenheit, ihren Eltern einen Besuch abzustatten.
    So auch an diesem Tag. Nachdem sie kurz ihre Mutter begrüßt hatte, fragte sie nach Papa. Ihr Vater befand sich, wie immer, in seinem Arbeitszimmer. Sie konnte nicht umhin, ihm ihr Leid zu klagen. Doch der alte Devereaux winkte geringschätzig ab.
    „Mein Kind, was willst du? In wenigen Monaten wird eure Ehe einvernehmlich geschieden, du trägst fortan einen Adelstitel und kannst dir einen Mann suchen, den du von Herzen liebst. In der Zwischenzeit lebst du wahrhaft fürstlich und bekommst alles, was du möchtest.“
    „Aber genau das ist es ja, Papa! Das, was ich möchte, bekomme ich nicht“, schluchzte Marie auf und zog die Spitzenhandschuhe von ihren Händen, um mit einem Taschentuch dezent die aufsteigenden Tränen zu verbergen.
    Claude Devereaux seufzte. Er hatte seine Tochter doch allzu sehr verwöhnt, befand er nun. Was wollte dieses undankbare Kind denn noch? Dass materielle Dinge nicht alles waren auf der Welt, kam ihm nicht in den Sinn. Ein Gedanke keimte in ihm auf.
    „Weißt du was?“, versuchte er, seine Tochter zu trösten. „Der Chevalier Saint-Jacques hat mich beauftragt, das Schloss Châtellerault zu verkaufen. Es wird nicht all zu viel bringen, der Zustand ist leider nicht der Beste, wie man mir berichtet hat. Daher habe ich daran gedacht, es dir zu schenken. Warum zieht ihr also nicht aufs Land? Die frische Luft würde dir gut tun, du könntest jeden Tag ausreiten und kämst so auf andere Gedanken.“
    Marie fiel ihrem Vater vor lauter Dankbarkeit um den Hals. „Ist das wahr, Papa? Ja, ich denke, das wäre eine gute Idee. Ich werde das gleich heute Abend mit Julien besprechen. Vielleicht wird er sich da auch mehr Zeit für mich nehmen.“
    Letzteres war nur eine vage Hoffnung, denn sie war sicher, dass auch Clement sie begleiten würde. Aber mit einem Titel und einem eigenen Schloss würde sie ganz sicher bald neue Verehrer finden, die sich nach ihrer Trennung von dem Marquis um sie reißen würden! Der Bankier klopfte ihr zustimmend auf den Rücken. Alles würde gut werden. Marie gab ihm noch einen Kuss auf
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher