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Illusionen

Illusionen

Titel: Illusionen
Autoren: Richard Bach
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von Indien sieht? Die Straßen brodelnd von Menschen, Millionen Hände, die nach dir greifen, Blumen und Weihrauch, goldene Plattformen mit silbergewirkten Behängen, auf denen du standest, wenn du sprachst?«
    »Nein. Schon bevor ich mich um den Job bewarb, wußte ich, daß das nichts für mich war. Darum suchte ich mir die Vereinigten Staaten aus. Und dort gab es nur die Menschenmengen.«
    Die Erinnerung tat ihm sichtbar weh, und mir tat es leid, die Sache zur Sprache gebracht zu haben. Er saß noch immer im Heu, sprach weiter, als sei ich nicht da.
    »Ich wollte sagen, um Gottes willen, wenn ihr euch so nach Freiheit und Lebensfreude sehnt, erkennt ihr nicht, daß ihr sie nur in euch selber finden werdet? Ihr braucht nur zu sagen, ihr habt sie, und ihr habt sie! Richard, ich frage dich, was ist so verdammt schwierig daran? Aber sie haben nicht auf mich gehört, die meisten. Wunder - das ist wie zum Autorennen zu gehen der Unfälle wegen. Zuerst ist es nur frustrierend, danach wird es langweilig. Ich weiß wirklich nicht, wie es die anderen Erlöser ertragen haben.«
    »Wenn du es so formulierst«, sagte ich, »dann büßt es etwas von seinem Zauber ein.« Ich zog die letzte Mutter an und packte das Werkzeug weg. »Wohin geht es heute?«
    Er stand auf und ging hinüber zu meinem Cockpit, und anstatt die toten Insekten von meiner Windschutzscheibe zu wischen, fuhr er leicht mit der Hand darüber, und die zerschmetterten kleinen Kreaturen wurden wieder lebendig und flogen davon. Seine eigene Windschutzscheibe brauchte niemals gereinigt zu werden, versteht sich, und jetzt war mir auch klar, warum sein Motor keiner Wartung bedurfte.
    »Ich weiß nicht«, antwortete er. »Ich weiß nicht, wohin es heute geht.«
    »Was heißt das? Du kennst die Vergangenheit und kannst die Zukunft voraussagen. Du weißt genau, wo es hingeht.«
    Er seufzte. »Sicher, aber ich versuche, nicht daran zu denken.«
    Während ich mit den Zylindern hantierte, hatte ich mir überlegt, daß es eine gute Sache wäre, wenn ich mit diesem Typ zusammenbliebe. Dann gäbe es keine Probleme, nichts könnte schiefgehen, alles würde klappen. Aber der Ton, in dem er sagte, »aber ich versuche, nicht daran zu denken«, erinnerte mich an das, was anderen Erlösern zugestoßen war, die man auf diese Welt geschickt hatte. Mein gesunder Menschenverstand schrie mir ganz unmißverständlich ins Ohr, mich nach dem Abflug südlich zu halten und von dem Mann so weit wie möglich wegzufliegen. Aber ich sagte es ja schon, man ist einsam in diesem Gewerbe, und ich war froh, ihm begegnet zu sein; jemanden gefunden zu haben, mit dem man sich unterhalten konnte und der den Unterschied zwischen einem Querruder und einem Seitenruder kannte.
    Ich hätte nach Süden fliegen sollen, aber nach dem Start blieb ich doch an seiner Seite, und wir flogen nach Norden und dann nach Osten, in jene Zukunft hinein, an die er lieber nicht hatte denken wollen.

   
    4. Kapitel
     
    »Wo hast du all das gelernt, Don? Du weißt soviel, oder vielleicht kommt es mir nur so vor. Nein, du weißt wirklich sehr viel. Ist es nur Übung? Gibt es nicht irgendeine formelle Ausbildung, um ein Meister zu werden?«
    »Man bekommt ein Buch in die Hand gedrückt.«
    Ich hängte gerade einen frischgewaschenen Seidenschal an die Spanndrähte. Ich starrte ihn an. »Ein Buch?«
    »Leitfaden für Erlöser. Eine Art Bibel für Meister. Wenn's dich interessiert, ich habe irgendwo ein Exemplar herumliegen.« »Aber ja doch! Ja! Heißt das, es gibt einen regulären Leitfaden, wo einem erklärt wird, wie...?«
    Er kramte eine Weile in dem Gepäckraum hinter der Kopfstütze der Travel Air und holte schließlich ein kleines, offenbar in Wildleder gebundenes Buch heraus.
    Lehrbuch für den Messias stand da in schwarzen Lettern.
      
    Hinweise für die fortgeschrittene Seele.
       
    »Was meinst du mit Leitfaden für Erlöser ? Hier steht Lehrbuch für den Messias.«
    »Naja, so ähnlich.« Er sammelte die um seine Maschine herumliegenden Sachen ein, als wollte er mir bedeuten, daß wir nun weitermüßten. Ich blätterte in dem Buch, einer Sammlung von Maximen und kurzen Absätzen.
     
    Perspektive -
    Gebrauche sie oder verliere sie —
    Blätterst du diese Seite auf, vergißt du, daß das, was um dich 
    herum geschieht, nicht Wirklichkeit ist.
    Bedenke es.
    Vergiß nicht, woher du gekommen bist,
    wohin du gehst, und warum das Durcheinander,
    in das du geraten bist, von dir selbst
    geschaffen wurde.
    Vergiß nicht,
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