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Ich habe den Todesengel überlebt - Mozes Kor, E: Ich habe den Todesengel überlebt

Ich habe den Todesengel überlebt - Mozes Kor, E: Ich habe den Todesengel überlebt

Titel: Ich habe den Todesengel überlebt - Mozes Kor, E: Ich habe den Todesengel überlebt
Autoren: Eva;Buccieri Mozes Kor
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dem Einmarsch nationalsozialistischer deutscher Truppen nach Polen. Die Ungarn unter der Führung von Miklós Horthy setzten ihre Hoffnungen ebenfalls auf Hitler und wurden seine Verbündeten. All dies geschah um uns herum, aber immer noch so weit entfernt, dass nur Papa sich Sorgen um unsere Sicherheit machte.
    Im Sommer 1940 jedoch, als Miriam und ich sechs Jahre alt waren, änderte sich die Lage. Hitler gestand den nördlichen Teil des rumänischen Siebenbürgens Ungarn zu. Zu jener Zeit war die Bevölkerung Siebenbürgens – der weitläufigeren Region um unser Dorf herum – halb ungarisch, halb rumänisch. In unserem Dorf aber waren nur Rumänen. Gerüchte begannen sich zu verbreiten, dass die ungarische Armee Juden und Rumänen töten und unser Dorf in Brand stecken werde. Selbst als sechsjähriges Kind wusste ich nun, dass wir in Gefahr waren.
    Miriam, die Stillere von uns beiden, spürte meine Angst, muss sie mir am Gesicht und an der Körpersprache abgelesen haben. Doch sie klagte nie; es entsprach nicht ihrem Wesen.
    Eines Tages marschierten ungarische Soldaten in unser Dorf ein, und der befehlshabende Offizier fuhr in einem langen, schwarz glänzenden Wagen vor den Truppen her. Es war eindrucksvoll, und so war es auch beabsichtigt. Wir Dorfbewohner sollten merken: Jetzt waren die Militärs an der Macht, und entsprechend sollten wir sie willkommen heißen! Wir hörten die Soldaten singen: »Wir sind die Soldaten von Horthy, die schönsten Soldaten der Welt.«
    In dieser Nacht erlaubten meine Eltern den Soldaten, ihr Lager auf unserem Hofplatz aufzuschlagen; der befehlshabende Offizier schlief in unserem Gästezimmer. Mama behandelte die Offiziere wie Gäste: Sie buk ihre beste Torte und lud die Offiziere ein, mit unserer Familie zu Abend zu essen. Ich erinnere mich, dass viel über gutes Essen gesprochen wurde, und Miriam und ich fanden es aufregend, zusammen mit diesen wichtigen Männern in Uniform am Tisch zu sitzen. Es war ein angenehmer Abend, die Offiziere lobten Mamas Koch- und Backkünste. Bevor sie schlafen gingen, küssten sie ihr zum Dank die Hand, eine typische Höflichkeitsbezeugung der damaligen Zeit. Am nächsten Morgen brachen sie frühzeitig auf, und unsere Eltern schienen beruhigt.
    »Seht ihr?«, sagte Mama. »Es ist nichts dran an dem Gerede, dass sie die Juden umbringen. Sie sind echte Ehrenmänner.«
    »Warum erzählen die Leute solche Geschichten?«, fragte Papa, ohne eine Antwort zu erwarten, geschweige denn Einwände von meiner Mutter oder sonst jemandem in der Familie. »Du hast recht. Die Nazis werden nie in ein kleines Dorf wie unseres kommen«, schloss er. Das betrachteten wir hiermit als Tatsache. Papa hatte es gesagt.
    Trotzdem verfolgten meine Eltern spät in der Nacht hinter verschlossenen Türen Rundfunksendungen mit einem batteriebetriebenen Radio. Sie sprachen Jiddisch miteinander, wenn sie über die Nachrichten diskutierten, eine Sprache, die keines von uns Mädchen verstand. Was hörten sie da, dass sie so ein Geheimnis daraus machten? Dass sie es vor uns Mädchen zu verbergen suchten?
    Ich drückte mein Ohr an die Tür und horchte. Ich versuchte zu verstehen, was vor sich ging. »Wer ist Hitler?«, fragte ich, als meine Eltern herauskamen.
    Mama wehrte unsere Fragen mit heiteren Versicherungen ab: »Ihr braucht euch überhaupt keine Sorgen zu machen. Alles wird gut.« Doch wir hatten einzelne Radiosendungen mit angehört, in denen Hitler brüllte, er werde alle Juden ausrotten. Als wären wir Ungeziefer! Wir spürten , dass wir in Schwierigkeiten waren, egal wie sehr unsere Eltern uns vom Gegenteil zu überzeugen versuchten. Und wegen der elterlichen Heimlichtuerei wurde sogar Miriam beklommen zumute. Wir waren ständig in Sorge, selbst als Kinder. Da war ein Unbehagen über das Unausgesprochene, das nicht Erörterte.
    In jenem Herbst 1940 kamen Miriam und ich in die Schule. Anders als in heutigen Grundschulen saßen in unserem Schulhaus Kinder von der ersten bis zur vierten Klasse in einem Raum. Miriam und ich waren die einzigen Jüdinnen. Wir waren auch die einzigen Zwillinge. Jeden Tag zogen wir aufeinander abgestimmte Kleidung zur Schule an und trugen gleichfarbige Schleifen am Ende unserer langen Zöpfe. Wie zuvor unsere Familie hatten nun unsere Klassenkameraden ihren Spaß daran, zu erraten, wer von uns welcher Zwilling war.
    Wir stellten im Übrigen fest, dass wir zwei neue ungarische Lehrerinnen an der Schule hatten, die von den Nationalsozialisten aus der
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