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Himmelsvolk

Himmelsvolk

Titel: Himmelsvolk
Autoren: Waldemar Bonsels
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Vögeln bleiben zurück und ihr übrigen Geschöpfe alle, lebt wohl!« rief die Schwalbe. »Ich eile nun mit dem unsichtbaren Wind zugleich über tiefe Abgründe dahin, über glühende Berge und über das schimmernde Meer. Ich liebe den Wind, der mich trägt, von ihm weiß ich, daß die Freiheit den höchsten Wipfel der Erde zuerst berührt, wie er. Komme mit, wer kann und will! Wer bleiben muß, leide nicht, oder schlafe wohl in der kühlen Ruhe, ich will euch mein Heimweh nach der Ferne in euren Träumen zurücklassen.
    Ich komme auf meiner Reise zu einer Insel im Süden, im Meer, wo wilde Blumen auf den Felshöhen im Wind miteinander spielen. Der Harzgeruch der alten Bäume in den Meertälern füllt die Landschaft wie mit der Mahnung der Unsterblichkeit, und in der Einsamkeit mildert die Weite alles Nahe. Die Sternbilder leuchten in den südlichen Nächten, rufend, glänzend. An den standhaften Felsen braust das Meer Tag und Nacht, oft erscheint mir die Erde dort, als sei sie der Menschen müde, ihr Angesicht ist abgehärmt, ihr Kleid karg. Aber unter der Sonne erheitern sich die Lebensfalten der alten Berge zu einem klugen Lachen.
    Sie halten goldene Trauben gegen das blaue Meer, das Baumlaub vergeht zu keiner Jahreszeit, die Bäume grünen, bis sie sterben. Die Fröhlichkeit der Menschen in diesen Ländern ist unbedacht, die Sonne verwandelt ihren Ernst in den Schlaf, ihre Trauer in Wehmut, und der unvermerkt herannahende Tod scheint allen ohne Bitterkeit. Ja, das Sterben ist leichter dort, denn die kleinen Gedanken und unnützen Hoffnungen halten der Sonne, dem Meer nicht stand. Es zieht mich mit tausend Mächten in die milde, blaue Ruhe des Südens; lebt wohl, ich komme wieder.«
    Die Schwalbe flog mit einem hellen Triller auf, warf sich in den Wind, den sie zu umfangen schien und der sie trug, zugleich hingegeben und kraftvoll, seinem Wesen verwandt, geborgen und hoch.
    »Ach, wer so fliegen könnte«, meinte ein Rotschwänzchen, und es war sicher nicht der einzige Vogel der Wiese, der das gleiche Verlangen im Sinn trug wie die Schwalbe. Ihre Worte ließen eine erwartungsvolle Unruhe in den Sinnen der Waldvögel zurück. Lichteten die Bäume sich schon?
    »Wir werden auf den Storch warten, meine Liebe, er wird uns tragen und mitnehmen«, sagte die Grasmücke und schüttelte ihre Federn ein wenig auf, so daß sie viel dicker und ganz zerzaust aussah. Es wurde auch wirklich schon recht kühl, besonders an diesen sonnenlosen Tagen, wie sie nun oft in unfaßbarer Stille, mit einem leichten Nebelkleid in der Frühe, dahinzogen. Dann wieder wurde in der Sonne die Luft so klar, daß man die Stimmen der Landleute auf den Feldern weithin vernahm, als höbe die Reinheit die Entfernung auf, und nachts kamen die Sterne der Erde näher.
    Die zarten Kelche der Herbstzeitlose erschienen im Gras und am Buschrain, als habe ein verspäteter Frühlingsengel sie über Nacht verstreut, ihre blassen Farben waren voller Wehmut und sie blühten nicht lange. Um die wärmeren Mittagsstunden kamen wohl zuweilen noch Käfer und Bienen geflogen, ihr vereinzeltes Summen klang deutlich und sorgenvoll, aber es rief sie niemand mehr.
    Von Tag zu Tag wurde es stiller, die Mäuse schlossen ihre Wohnungen bereits, Uku hatte alles für ihren Winterschlaf vorbereitet, und auch Li, das Eichhorn, sammelte eifrig für den Winter, denn wenn spät noch ein schöner Sonnentag kam, so konnte es auch in der kalten Zeit einen Spaziergang durch die Föhrenkronen nicht entbehren, und es wußte, daß solch eine Ausfahrt in die Frische ganz ungewöhnlichen Appetit mit sich brachte. Alle kleineren Tiere suchten, eines nach dem andern, die warme Erde in Schlupfwinkeln und Höhlen auf, Verstecke in Baumlöchern oder tief unter welkem Laub, und es wurde langsam leer und immer stiller.

Die Sträucher empfingen am Waldrand den Wind am Abend, und sie begrüßten ihn mit ihrem Lied:
    Du gehst wie das Licht, wie der Blick
über schwindelnde Abgründe hin,
du, unser lebendiges Glück,
unserer Stimmen seliger Sinn.

    Unsere Tränen sind unsere Speise,
wenn du, auf den Schwingen die Nacht,
unsichtbar, himmlisch, leise
die Dunkelheit zu uns gebracht.
    Aus der klaren Freiheit des Herbstes tauchte farbig umkränzt die Wirklichkeit des Sterbens auf, und den Sinnen der Scheidenden wurde weh und wohl. Mit ihrem Lebensschmuck sank ihre Erinnerung an das Kleine, Vergängliche ihres Daseins an ihnen nieder, sie gaben der Erde zurück, was sie von ihr empfangen hatten, und der
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