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Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Titel: Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)
Autoren: Alice Munro
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und es ging sie auch nichts an.
    »Ich weiß schon, es ist eine Liebesheirat«, sagte die Frau, als hätte sie diese missmutigen Gedanken gelesen. »Darum haben Ihre Augen im Spiegel so geleuchtet. Ich habe es in Seidenpapier eingeschlagen, Sie brauchen es nur herauszunehmen und aufzuhängen, und der Stoff wird wunderbar fallen. Sie können es leicht aufbügeln, wenn Sie wollen, aber wahrscheinlich wird das gar nicht nötig sein.«
    Dann musste das Geld die Besitzerin wechseln. Beide gaben vor, nicht hinzuschauen, aber beide schauten hin.
    »Das ist es auch wert«, sagte die Frau. »Man heiratet nur einmal im Leben. Naja, so ganz stimmt das nicht immer …«
    »In meinem Fall stimmt es«, sagte Johanna. Ihr Gesicht hatte sich heiß gerötet, denn von Heirat war genau genommen nicht die Rede gewesen. Nicht einmal im letzten Brief. Sie hatte dieser Frau etwas anvertraut, was sie sich erhoffte, und vielleicht brachte das Unglück.
    »Wo haben Sie ihn kennen gelernt?«, fragte die Frau, immer noch in diesem Ton sehnsüchtiger Fröhlichkeit. »Wie sind Sie sich zum ersten Mal begegnet?«
    »Durch die Familie«, sagte Johanna wahrheitsgemäß. Sie hatte nicht vor, mehr zu sagen, hörte sich aber weiterreden. »Auf dem Volksfest. In London.«
    »Auf dem Volksfest«, sagte die Frau. »In London.« Sie hätte genauso gut »auf dem Opernball« sagen können.
    »Wir hatten seine Tochter und deren Freundin bei uns«, sagte Johanna und dachte, eigentlich wäre es zutreffender gewesen, zu sagen, dass er und Sabitha und Edith sie, Johanna, bei sich hatten.
    »Jedenfalls kann ich sagen, mein Tag war nicht verloren. Ich habe für das Kleid gesorgt, in dem jemand eine glückliche Braut sein wird. Das genügt, um meine Existenz zu rechtfertigen.« Die Frau wickelte ein schmales rosa Band um den Kleiderkarton, knotete eine große, überflüssige Schleife und schnitt mit einem bösen Schnipp ihrer Schere das Ende ab.
    »Ich bin den ganzen Tag hier«, sagte sie. »Und manchmal weiß ich gar nicht, was ich hier eigentlich mache. Ich frage mich, was machst du hier eigentlich? Ich dekoriere das Schaufenster neu, ich tue dies, ich tue das, um die Leute anzulocken, aber es vergehen Tage – ganze
Tage
 –, da kommt kein Mensch zur Tür herein. Ich weiß – die Leute meinen, diese Kleider sind zu teuer – aber sie sind
gut.
Es sind gute Kleider. Qualität hat eben ihren Preis.«
    »Die Leute müssen hereinkommen, wenn sie solche da wollen«, sagte Johanna mit Blick auf die Abendkleider. »Wo sollen sie denn sonst hingehen?«
    »Das ist es ja eben. Sie gehen woandershin. Sie fahren in die Stadt – da gehen sie hin. Sie fahren fünfzig Meilen, hundert Meilen, auf das Benzin kommt’s ihnen gar nicht an, und sagen sich, auf die Weise kriegen sie was Besseres, als ich hier habe. Dabei gibt’s nichts Besseres. Nicht an Qualität, nicht an Auswahl. Nichts. Bloß, weil sie sich genieren würden, zu sagen, sie hätten ihr Hochzeitskleid hier im Ort gekauft. Oder sie kommen herein und probieren etwas an und sagen, sie müssen es sich überlegen. Ich komme wieder, sagen sie. Und ich denke bei mir: Ach, ja, ich weiß, was das heißt. Es heißt, sie werden versuchen, dasselbe billiger in London oder in Kitchener aufzutreiben, und auch wenn’s nicht billiger ist, kaufen sie’s da, wenn sie erst so weit gefahren sind und keine Lust mehr haben, länger zu suchen.«
    »Ich weiß auch nicht«, sagte sie dann. »Vielleicht wäre alles anders, wenn ich von hier wäre. Hier bleiben die Leute sehr unter sich, finde ich. Sie sind wohl nicht von hier?«
    »Nein«, sagte Johanna.
    »Finden Sie nicht, dass die Leute hier sehr unter sich bleiben? Außenstehende haben es schwer, an sie heranzukommen, meine ich.«
    »Ich bin’s gewohnt, für mich zu sein«, sagte Johanna.
    »Aber Sie haben jemanden gefunden. Sie werden nicht mehr für sich sein, und das ist doch herrlich? An manchen Tagen denke ich, wie schön es wäre, verheiratet zu sein und zu Hause zu bleiben. Ich war natürlich früher verheiratet, aber gearbeitet habe ich trotzdem. Ach, ja. Vielleicht kommt der Mann im Mond hereinspaziert und verliebt sich in mich, und ich habe ausgesorgt!«
     
    Johanna musste sich beeilen – das Bedürfnis der Frau, mit jemandem zu reden, hatte sie aufgehalten. Sie wollte wieder im Haus sein und ihren Einkauf wegpacken, bevor Sabitha aus der Schule kam.
    Dann fiel ihr ein, dass Sabitha gar nicht da war, da sie am Wochenende von der Kusine ihrer Mutter, ihrer Tante
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