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Herr Der Fliegen

Herr Der Fliegen

Titel: Herr Der Fliegen
Autoren: William Golding
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von Stolz. »Und ich hab schon mit drei eine Brille getragen.«
    Er setzte die Brille ab und hielt sie blinzelnd und mit einem Lächeln Ralph hin. Dann versuchte er, sie an seiner schmutzigen Windbluse abzuwischen. ein schmerzvoller Ausdruck innerer Anspannung veränderte plötzlich seine bleichen Gesichtszüge. er rieb sich den Schweiß von den Backen und hielt schnell die Brille vor die Augen.
    »Mensch, da wächst aber allerhand.«
    Er blickte sich in der Schneise um.
    »So viele Früchte«, sagte er, »ich glaub, da muß ich mal –«
    Er setzte die Brille auf, ließ Ralph unvermittelt stehen und stapfte gebückt in das Laubdickicht. »Ich bin gleich wieder da.« Ralph befreite sich vorsichtig von den Zweigen und schlich davon. Schon nach wenigen Schritten hatte er das Ächzen des Dicken hinter sich gelassen und suchte eilends den Vorhang zu durchstoßen, der ihn noch von der Lagune trennte. er kletterte über einen umgestürzten Baum und trat aus dem Dschungel heraus.
    Die Küste war von einem Palmengefieder bedeckt. Die Palmen hoben sich hochaufragend oder geneigt gegen das Licht ab, und ihre grünen Federwipfel schwankten hundert Fuß über der Erde. Überbleibsel umgestürzter Bäume, verwesende Kokosnüsse und Palmschößlinge unterbrachen die Gleichmäßigkeit des Bodens unter den Palmen, der in einer Art Stufe zum Strand hin abfiel. Dahinter lag das undurchdringliche Dunkel des eigentlichen Waldes und die aufgerissene Fläche der Schneise. Ralph stand mit einer Hand an einen grauen Stamm gelehnt und schloß vor dem blendenden Gleißen des Wassers die Augen zu einem schmalen Spalt. Draußen – eine Meile weit weg vielleicht – gischtete die Brandung an einem Korallenriff empor, und noch weiter draußen war das tiefe Blau des offenen Meeres. Innerhalb des unregelmäßigen Korallenbogens lag die Lagune ruhig da wie ein Bergsee und leuchtete in allen Tönungen des Blaus und in Grün und in Purpur. Zwischen der Palmenterrasse und dem Uferrand schien sich die sanfte Kurve des Strandes als schmaler Streifen ins Grenzenlose dahinzuziehen, denn zu seiner Linken sah Ralph die Perspektiven der Palmen und des Strandes und des Ufers im Unendlichen zu einem Punkt zusammenfließen; und über allem, fast sichtbar, stand die Hitze.
    Er sprang von der Terrasse herunter. Seine schwarzen Schuhe versanken tief im Sand, und die Hitze traf ihn wie ein Schlag. er empfand mit einmal das Gewicht seiner Kleider, schleuderte ungestüm die Schuhe fort und zerrte die Strümpfe an den Gummibändern mit einem Ruck von den Füßen. Dann sprang er zurück auf die Terrasse und zog das Hemd aus; um ihn herum lagen Kokosnüsse wie Hirnschalen, und die grünen Schatten der Palmen und des Waldes glitten über seine Haut. er löste seinen Gürtel, streifte die kurze Hose und die Unterhose herunter und stand da, nackt, und den Blick auf den flimmernden Strand und das Wasser gerichtet.
    Zwölf Jahre und einige Monate war er alt, und er hatte nicht mehr den vorgewölbten Bauch des Kindes, aber auch noch nicht die linkische Haltung des Jünglings. Seine breiten, kräftigen Schultern hätten die eines künftigen Boxers sein können, aber seine Augen, ein Zug um seinen Mund, sprachen von Empfindsamkeit, die der brutalen Gewalt abhold war. Seine Hand tätschelte zart den Stamm der Palme, und da er schließlich nicht länger daran zweifeln konnte, daß es so etwas wie diese Insel tatsächlich gab, jauchzte er und machte einen Kopfstand. Geschmeidig fanden seine Füße wieder auf den Boden zurück, und er sprang den Strand hinunter, kniete nieder und wühlte sich mit beiden Armen Sand gegen die Brust. Dann lehnte er sich zurück und blickte mit leuchtend erregten Augen auf das Wasser.
    »Ralph –«
    Der Dicke kam die Terrassenstufe heruntergerutscht und setzte sich vorsichtig auf den Rand dieser natürlichen Bank.
    »Tut mir leid, daß es so lange gedauert hat, aber die vielen Früchte da –«
    Er wischte die Brille ab und drückte sie auf seine Knopfnase. Der Bügel hatte ein rotes »V« in den Nasenrücken eingeschnitten. er betrachtete kritisch Ralphs strahlenden Körper und sah dann an seinen eigenen Kleidern hinunter. er tastete nach dem Reißverschluß seiner Windbluse.
    »Meine Tante –«
    Dann zog er kurz entschlossen den Reißverschluß auf und streifte die Bluse über den Kopf.
    »So!«
    Ralph sah ihn von der Seite an und schwieg.
    »Wir müssen uns von allen die Namen sagen lassen und eine Liste machen«, sagte der Dicke. »Am besten
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