Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herr der Finsternis

Herr der Finsternis

Titel: Herr der Finsternis
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
seine und sagte überaus streng: »Ich erinnere mich mehr als nur schwach dran, denn diese Tat, dort im Stich gelassen zu werden, hat mir mein gesamtes Leben gestohlen. Denn ich fiel den Portugiesen in die Hände, und im Juni ‘90 brachten sie mich als Gefangenen nach Angola, und seitdem bin ich dort.«
    »Ah. Und Ihr seid Andrew Battell aus Leigh?«
    »Der bin ich.«
    »Ich dachte, diese Matrosen, die auf die Insel gingen, um Früchte und Wasser zu sammeln, wären tot.«
    »Und Ihr seid nicht zurückgekommen, um nach uns zu suchen?«
    »Aber warum sollte ich das Leben der anderen in Gefahr bringen, wenn ihr doch tot wart?«
    »Und wenn wir nicht tot waren? Und wenn wir noch lebten, Kapitän Cocke, und in die Sklaverei gingen, weil Ihr nicht nach uns gesucht habt?«
    Sein Gesicht war grau, sein Kopf gebeugt. Sein Körper zitterte, als kämen ihm die Tränen, doch seine Wangen waren trocken.
    »Ich habe geschworen«, sagte ich, »Euch mit bloßen Händen zu erschlagen, Cocke, sollte ich Euch jemals finden, weil Ihr mein Leben zerstört habt.«
    »Aye. Dann erschlagt mich«, sagte er freudlos.
    »Ihr habt mir das Leben genommen. Ihr habt mich in unvorstellbare Gefahren und Qualen geschickt.«
    »Dann erschlagt mich«, sagte er erneut. »Es war nicht meine Absicht, Euch dort zurückzulassen. Ich war mir sicher, daß ihr alle tot wart. Aber es war eine Sünde, eine überaus ernste Sünde, nicht nach Euch gesucht zu haben. Erschlagt mich.«
    Er hatte keine Angst.
    Er bettelte um meine Rache.
    Ah, was sollte ich tun? Ihn jetzt töten?
    »Das werde ich nicht«, sagte ich.
    »Was sagt Ihr da?«
    »Wir sind alte Männer«, sagte ich düster, »und mein Leben hat seinen Weg genommen, und ich glaube, Eure Zeit ist beinahe abgelaufen. Welches Vergnügen bereitet es mir, Euch jetzt zu töten? Welche Rache? Wird sie mir diese zwanzig Jahre zurückgeben, Cocke?«
    »Um Jesu willen, tut es!«
    »Ich werde es nicht tun.« Und ich sagte: »Warum seid Ihr so versessen zu sterben?«
    Woraufhin er erwiderte: »Seht Ihr mich nicht? Blind und gebrochen und schwach wie eine zertretene Spinne? Warum sollte ich leben? Ah, Ihr haßt mich so sehr, daß Ihr mich bestrafen wollt, indem Ihr mich am Leben laßt, ist es das, Battell? Aye. Aye, ich verstehe das. Ich habe Euer Leben genommen, und Ihr bestraft mich, indem Ihr mir das meine schenkt. Aber das ist grausam von Euch, überaus grausam.«
    »Ich hasse Euch nicht mehr«, sagte ich. »Ich verabscheue die Tat, die Ihr mir angetan habt, aber Ihr wart nur der erste von vielen, die mich betrogen und verraten haben, und wie kann ich in meinem Herzen Platz genug haben, sie alle zu hassen? Nay, Cocke, ich empfinde nichts für Euch, nichts!«
    »Ich habe Schmerzen. Um Christi Gnade willen, schlagt zu und bereitet meinem Leiden ein Ende.«
    »Das werde ich nicht tun«, sagte ich. »Sitzt hier und denkt über Euer Leben nach und zittert und werdet meinetwegen alt in diesem Zimmer. Ich werde bald nach England segeln. Soll ich Euern Freunden in Leigh Grüße bestellen?«
    »Ich kenne niemanden… niemanden….«
    Er erzitterte wieder, als weinte er, und diesmal kamen tatsächlich Tränen, sehr reichlich, ein Strom, der seine eingefallenen Wangen hinabrann. Ich erhob mich und ging, ohne mich von ihm zu verabschieden.
    »Battell, in Jesu Namen!« rief er mir hinterher. »Kommt zurück! Macht mir ein Ende!«
    Ich schritt schnell durch die Straßen am Hafen; in meinem Kopf drehte sich alles, weil ich ihn gesehen hatte und weil er so heruntergekommen war und um den Tod bettelte. Ich dachte an die Worte, die zwischen uns gefallen waren, und daß ich ihm gesagt hatte, ich würde ihn nicht mehr hassen. Doch haßte ich ihn wirklich nicht mehr? Nay, mein Zorn war nicht gewichen; doch der Cocke, den ich verabscheute, war der von der Insel São Sebastião und nicht dieser jämmerliche alte Mann. Den anderen hätte ich gern totgeschlagen; für diesen empfand ich nur Mitleid und Mitgefühl, denn er hatte gelitten wie wir alle auf der Erde und war ein Sünder, der seine Strafe bekommen hatte und noch mehr bekommen würde und der zumindest äußerlich Reue zeigte. Mich dünkte, die beste Rache, die ich an ihm nehmen konnte, war die, ihn in seinem Elend und Schmerz leben zu lassen. Nun saß er dort in seinem Zimmer und wußte, daß die Erlösung, die der Tod für ihn bedeutete, zehn Zoll vor ihm gestanden hatte und ihm nicht gewährt worden war. Das mußte fürwahr bitter für ihn sein.
    Und so verließ ich ihn, zumindest
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher