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Hahn, Nikola

Hahn, Nikola

Titel: Hahn, Nikola
Autoren: Die Farbe von Kristall
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Lichtenstein und Co., Zeil 69

    P olizeirat Franck hatte graues, über der Stirn lichtes Haar, und
man sah ihm an, daß er gute Mahlzeiten zu schätzen wußte. Am wohlsten fühlte er
sich, wenn die Dinge in ruhigen Bahnen liefen, wenn alles seine Ordnung hatte.
Er war in Berlin geboren und aufgewachsen, aber er hatte nichts Preußisches
an sich. Als ihm der Mord an Lichtenstein gemeldet wurde, war er im Begriff, zu
Tisch zu gehen, und bevor er irgendeine Entscheidung treffen konnte, brach um
ihn herum jene Hektik aus, die er verabscheute, weil sie ihm keinen Raum für
klare Gedanken ließ. Er verfügte die Überwachung der Bahnhöfe und beauftragte
seinen Bürogehilfen, alle im Haus befindlichen Kriminalbeamten in sein Büro zu
rufen.
    Zehn
Minuten später hielt er eine Besprechung ab und beorderte die Kommissare
Biddling und Beck zum Tatort. Er informierte den Vertreter des
Polizeipräsidenten, telephonierte mit dem Ersten Staatsanwalt und ging ins
Erdgeschoß hinunter, um mit dem Leiter der Schutzmannschaft zu sprechen. Danach
verließ er das Präsidium, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Der
ungeliebte Termin in seinem Kalender geriet darüber in Vergessenheit.
    Richard
Biddling wußte, daß ihm nach Brauns Pensionierung Kommissar Beck zugeteilt
werden würde. Glücklich war er darüber nicht. Fachlich gab es an Beck wenig
auszusetzen, aber sein Charakter erschwerte eine gedeihliche Zusammenarbeit:
übertriebener Ehrgeiz, Unbeherrschtheit und Starrsinn. Hatte er sich einmal auf
eine bestimmte Meinung festgelegt, war es so gut wie aussichtslos, ihn von
etwas anderem zu überzeugen. Da er sich tatsächlich selten irrte, verstärkte
sich sein Hang zur Rechthaberei noch.
    Zwischen
Polizeipräsidium und Tatort lagen gute fünfhundert Meter, die die Männer zu Fuß
und schweigend zurücklegten. Für die prachtvollen Bauten auf Frankfurts
mondäner Einkaufsstraße hatten sie keinen Blick. Sie passierten die Kaiserliche
Oberpostdirektion, und vor ihnen tauchten die Hauptwache und der Turm der
Katharinenkirche auf. Das Haus mit der Nummer 69, ein schmuckloser
Geschäftsbau, lag schräg gegenüber der Wache, links von der Kirche. Ein
Firmenschild mit weithin sichtbaren Lettern zog sich über die gesamte Breite
des ersten Stockes: L. Lichtenstein & Co. Pianinos. Flügel. Auf der
Straße und vor dem Haus hatten sich Schaulustige versammelt; Schutzleute versuchten
vergeblich, sie zum Weitergehen zu drängen.
    Irgendwie
schaffte es Beck, sich einen Weg zu bahnen, und Richard ging ihm einfach nach.
Den Eingang bewachte ein älterer Schutzmann, dessen Miene keinen Zweifel daran
ließ, daß er von seinem Säbel Gebrauch machen würde, sobald der erste es wagen
würde, ihm zu nahe zu kommen.
    »Wo?«
fragte Beck.
    Der
Beamte nahm Haltung an. »Erste Etage geradeaus, Herr Kommissar!«
    »Herrgott!
Haben die hier kein Licht?« schimpfte Beck im Treppenhaus. Vor den
Lichtensteinschen Geschäftsräumen stand ein junger Polizeidiener mit einer
Lampe in der Hand. »Dürfte ich fragen, wer
    »Kommissar
Beck, Kommissar Biddling!« sagte Beck.
    Durch
die offenstehende Tür sah Richard ins Kontor. Aus Lichtensteins Schreibpult
waren die Schubladen herausgerissen. Richard dachte daran, wie er am Dienstag
vor einer Woche an diesem Pult den Kaufvertrag für Floras Klavier unterzeichnet
hatte. Es kam ihm vor, als sei es gestern gewesen. Von links waren undeutlich
Stimmen zu hören.
    Kommissar
Beck fuhr zu dem Polizeidiener herum. »Wer ist da drin?«
    »Schutzmann
Heinz«, antwortete der Junge schüchtern. »Und Dr. Meder aus der Goethestraße.
Und ein paar Leute aus dem Haus, glaube ich.«
    »Ach?
Halten die ein Kaffeekränzchen mit der Leiche ab? Wofür stehen Sie eigentlich
hier herum, Sie...!«
    »Ich
bitte höflichst um Verzeihung, Herr Kommissar, aber Schutzmann Heinz hat gesagt
    »Das
klären wir später«, unterbrach Richard. Becks Gehabe ging ihm auf die Nerven.
Obwohl er natürlich im Recht war. An einem Tatort hatten Zuschauer nichts
verloren. Die Stimmen kamen aus dem vorletzten Lagerraum, einem fensterlosen
Schlauch, vollgestellt mit Klavieren aller Art und durch Gaslicht notdürftig
erleuchtet. Im Halbdunkel sah Richard sechs Männer miteinander diskutieren.
Einer davon trug Uniform.
    »Könnten
Sie mir verraten, was Sie hier tun?« fragte Beck.
    Der
Uniformierte salutierte. Er stellte sich als Schutzmann Heinz vor und erklärte,
daß es sich bei den Männern um wichtige Zeugen handele, deren Verbleib vor Ort
er bis zum
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