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Graues Land (German Edition)

Graues Land (German Edition)

Titel: Graues Land (German Edition)
Autoren: Michael Dissieux
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Viel mehr ist nicht mehr in der Speisekammer.
    Damals, in den Tagen, als Sarah und ich unser kleines Haus auf dem Hügel noch mit Lachen und allerlei unsinnigen Scherzen erfüllt hatten, gehörte der abendliche Tee zum festen Bestandteil unseres Lebens. Als wir das Haus mit seinen niedrigen Räumen und rustikalen Klinkersteinen zu Beginn unserer Ehe gebaut hatten, war es Sarah gewesen, die das dringende Bedürfnis nach einem offenen Kamin im Wohnzimmer äußerte. Und als verliebter, junger Romeo las man seiner Julia natürlich jeden Wunsch von den Lippen ab.
    So haben wir, in all den Jahren, fast jeden Abend in kleinen, robusten Korbsesseln vor dem prasselnden Feuer verbracht. Während wir unseren Tee tranken, uns gegenseitig über den Rand der Tasse ansahen und ein Lächeln nicht unterdrücken konnten, hatte das Knistern und Knacken der Holzscheite im Kamin eine ganz eigene, melancholische Symphonie für uns gespielt.
    Wir haben einfach nur dagesessen, im Hintergrund leise Musik, und über das geredet, was uns der vergangene Tag beschert hatte. Die Nähe meiner Sarah zu spüren, ihre ruhige Stimme zu hören und ihr beim Reden zuzusehen, wie sich immer wieder ein Lächeln zwischen ihre Worte stahl und ihre weißen Zähne aufblitzten, war alles, was sich ein glücklicher Mann vorstellen konnte.
    Ich steige die Treppe ins Schlafzimmer hinauf.
    Das Geschirr klappert leise auf dem Tablett und ich bleibe stehen.
    Wieder einmal trifft mich die allgegenwärtige Stille wie ein Schlag. Fast erscheint es mir, als hätte ich mich in einen tiefschwarzen Mantel gehüllt, der alle Geräusche der Welt von mir fernhält.
    Das Tablett auf einer Hand balancierend, blicke ich mich im Dämmerlicht des Flurs um. Lediglich einige Kerzen stehen auf dem kleinen Schränkchen, auf das wir früher immer achtlos unsere Schlüssel oder Briefe geworfen haben.
    Mein Schatten gleicht dem eines dürren Riesen an der Wand. Als die Stille begonnen hatte, war mir das Haus wie ein düsteres Grab erschienen.
    Dort, wo früher die vertrauten Lampen gebrannt und die ebenso vertrauten Schatten sich in den Ecken gedrängt haben, verstecken sich nun Horden unsichtbarer Wesen in nachtschwarzen Nischen, deren Mäntel die vereinzelten Kerzen nicht zu durchbrechen vermochten. Manchmal bilde ich mir ein, ihre trippelnden Füße in der Dunkelheit zu hören. Dann habe ich das Gefühl, dass sie sich mir zu nähern versuchen, jedoch nie die schützenden Schatten verlassen, so dass ich einen Blick auf ihre abnormen Körper werfen könnte.
    Mir ist bewusst, dass ich mir das alles nur einbilde. Das Alter, in Verbindung mit Dunkelheit und plötzlicher Stille, ist etwas, das ich scheinbar nur schwer ertragen kann. Mir gelingt es kaum noch, das beklemmende Gefühl abzulegen, das mich jeden Abend aufs Neue befällt, wenn ich die Kerzen anzünden muss.
    Am Tag ist es nicht sehr viel heller in den Räumen. Das düstere Grau, das durch die Fenster sickert, erscheint mir sogar noch betrüblicher als das Flackern der Kerzen, die mich zumindest teilweise noch an die Abende vor dem Kaminfeuer zurückdenken lassen.
    Das Schlimmste aber ist die Stille. Vom gelegentlichen Stöhnen des Gebälks und dem tiefen Ächzen des Fundaments im Keller abgesehen, hat sich ein dichtes Tuch des Schweigens über die Welt gelegt.
    Mit der freien Hand fahre ich mir über die Augen und spüre eine tiefe Müdigkeit hinter den Lidern. Meine Finger zittern. Ich starre sie einen Moment an, dann balle ich sie zur Faust und blicke die Treppe empor, wo eine einzelne Petroleumlampe auf dem Pfosten des Geländers ein weiches Licht über die obersten Stufen fließen lässt. Seufzend und mit schwerfälligen Schritten steige ich den Rest der altertümlichen Holzstiege hinauf.
    Das Knarren der mittleren Stufe erscheint mir wie jeden Abend als das schönste Geräusch, das man in dieser Welt noch finden konnte. Selbst das müde Schaben meiner Füße in ihren Pantoffeln ist eine willkommene Abwechslung zum ewigen Schweigen.
    Alles, was mich an eine normale Welt denken lässt, sauge ich begierig auf. Doch es gibt nicht mehr viel, das normal ist. Nicht mehr viel, dass mich aufrecht hält. In einem Buch eines amerikanischen Schriftstellers, das ich vor unzähligen Jahren gelesen habe, hieß es einmal: »Die Welt hat sich weitergedreht« .
    Ich muss oft an diesen einen Satz denken, der mich damals schon emotional tief berührt hat. Es mag sich verrückt anhören, aber im Stillen habe ich diesen einen Satz zur Schlagzeile
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