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Gnadenlos (Sara Cooper)

Gnadenlos (Sara Cooper)

Titel: Gnadenlos (Sara Cooper)
Autoren: Petra Richartz
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American Way of Life mitbekommen?“, fragte er den Kleinen und strich ihm über den Kopf. Der Junge aber schlang nur das Essen in sich hinein, als hätte er seit Tagen nichts mehr bekommen. „Wie heißt du?“, fragte Tom zum zehnten Mal, in der Hoffnung, endlich eine Antwort zu bekommen. Der Kleine schwieg ausdauernd. „Na gut, dann nicht. Ich geh schnell duschen“, sagte er, stand vom Bett auf und ging zunächst zum Fenster. Er versicherte sich, dass es verschlossen war, und warf einen Blick auf die Straße, wo nicht mehr viel los war. Er atmete durch. Als er schon an der Badezimmertür stand, rief der Junge ihm etwas hinterher. „Keno.“
    Tom blieb stehen und blickte sich um. „Keno heißt du also?!“ Keno nickte und lächelte, an seinem Mund klebten Essensreste aus Reis und Hühnchen. „Ein schöner Name“, Tom nickte. „Ich bin Tom. Und ich bin gleich wieder bei dir“, ergänzte er und verschwand unter der Dusche. „Tom“, sagte Keno lachend hinter ihm her. Tom drehte das Wasser so heiß, bis der Strahl auf seinem Rücken wehtat. In was hatte er sich da nur hineinmanövriert? Er versuchte die letzten Tage zu rekapitulieren, aber seine Gedanken drifteten ab, entwickelten ein Eigenleben. Er dachte an seine Frau, an Debbie. Obwohl es schon so viele Jahre her war, überkam ihn das Gefühl des Vermissens wie eine Sturzwelle, so stark, dass er aufstöhnte. Und es wollte einfach nicht aufhören. Er schloss die Augen und sah seine Frau vor sich, während das Wasser auf seinen Kopf prasselte. Die Wärme in ihren Augen fehlte ihm am meisten. Und ihr Geruch, wenn er sie beim Einschlafen in den Arm nahm. Er sah ihr unbeschwertes Lachen, aber dieses Bild verblasste immer mehr. Er hatte fürchterliche Angst, es irgendwann ganz zu verlieren. Debbie hätte ihn ohne zu zögern sofort verlassen, wenn sie von seinem künftigen Werdegang gewusst hätte, soviel stand fest. Er überlegte, ob er sich stellen sollte, aber dafür hatte er längst zuviel Mist gebaut. Er war zwar kein Killer, hatte aber vielen Leuten geschadet und sich sehr viele Feinde gemacht. Da würde ihm auch kein Justizminister mehr helfen können. Er rutschte an den nassen Fliesen hinunter und setzte sich auf den Boden, dem herunterschmetternden Wasser ausgeliefert – so fühlte er sich zumindest. Keno. Was sollte er mit dem Kleinen machen? Er überlegte, was er für ein Vater geworden wäre, wenn das damals nicht mit Debbie passiert wäre. Und er musste sich ehrlich eingestehen, dass er es nicht wusste. Nur soviel stand für den Moment fest: es war schon verdächtig genug, als weißer Erwachsener mit einem kleinen asiatischen Jungen durch Bangkok zu ziehen. Er musste Keno loswerden. Aber wie? Vielleicht würde er ihn in der Nähe einer Polizeiwache absetzen. Irgendwer musste ihn ja vermissen. Ja, genau das würde er jetzt tun.
    Er raffte sich auf und stieg aus der Duschkabine. Den Spiegel befreite er mit einem Handtuch vom Wasserdampf. Was er zu sehen bekam, erschreckte ihn. Er hatte tiefe Ränder unter den Augen und wirkte total abgeschafft. Als er sein nasses Haar nach hinten strich, bemerkte er, dass seine Hand zitterte. Sein Oberkörper war zwar immer noch muskulös, aber durch die letzten Jahre stark in Mitleidenschaft gezogen, von Narben übersät. Er band sich das Handtuch um die Hüfte und verließ das Badezimmer. „So Kleiner, es geht nach Hause.“ Tom blieb stehen. Der Fernseher plärrte und Keno lag schlafend davor, die Fernbedienung fest mit seiner kleinen Hand umfasst. Tom lächelte, nahm dem Jungen die Fernbedienung ab, legte ihn vorsichtig ins Bett und deckte ihn zu. „Dann bring ich dich halt morgen nach Hause. Und wer weiß, ob du überhaupt ein Zuhause hast“, flüsterte er und strich Keno über die Stirn. Er setzte sich auf den Sessel und zappte durch das nächtliche Programm. Schließlich machte er genervt das Gerät aus und beugte sich vor. Er hatte noch etwas zu erledigen, und jetzt war ein guter Moment dafür.

Kapitel 69
    Bangkok
    Sara und Mia standen in der Flughafenhalle in Bangkok am Check-In-Schalter. Ryan war bei ihnen. Claire hatte gerade eingecheckt. Ihr ganzes Erscheinungsbild war traurig: sie hatte ein großes Pflaster an ihrem Ohr und trug eine Armschlaufe um ihre verletzte Schulter. Sie deutete an, schon mal zum Duty-Free-Shop zu gehen, offensichtlich wollte sie alleine sein. Über die Vaterschaft ihres Kindes verlor sie weiterhin kein einziges Wort. Sie blieb bei der Geschichte vom One-Night-Stand und
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