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Glattauer, Daniel

Glattauer, Daniel

Titel: Glattauer, Daniel
Autoren: Der Weihnachtshund
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zögerte. »Was aber?«, fragte Katrin. »Aber er kann
es sich nicht merken«, erwiderte der junge Mann. - »Und schläft er in der
Nacht?« - »Jaaa!«, rief der Besitzer und ballte die Fäuste wie ein Tennisstar,
der sich wieder ins Spiel gebracht hatte. »Und was frisst er?« -»Jeden Abend
zwei große Dosen Wildbeuschel«, erwiderte der junge Mann. »Er hat es gern, wenn
man ihm die Schüssel unter die Schnauze legt.« Sein Herrl hatte gepflegte Zähne
und seine Augen dürften gesund sein, sie konnten sogar lachen, bemerkte Katrin.
    »Und was
spielt er gern?« - »Verstecken«, erwiderte der Mann nach längerer Nachdenkpause.
»Und >Blinde Kuh<, die Kuh ist immer der Mensch.« - Er hatte einen seltsamen
Humor. - »Und woran muss man sonst noch denken, wenn man ihn hat?« - »Am
besten an gar nichts«, entgegnete der Besitzer. »Man darf ihn nur nicht vergessen.«
- »Klingt ziemlich einfach«, sagte Katrin. »Ja, er ist ein guter Hund«,
antwortete der Mann nervös. »Ich werde mir die Sache überlegen und gebe Ihnen
in den nächsten Tagen Bescheid«, sagte Katrin. »Das wäre fein«, erwiderte der
Hundebesitzer. »Und ich würde ihn gern einmal auf den Beinen sehen«, sagte
Katrin. - »Sicher«, sagte der Mann und lächelte bitter. Dann verabschiedete er
sich. Der eingerollte Haufen vor der Tür hatte sich keinen Millimeter
verschoben. »Er ist ein guter Hund«, wiederholte der Mann und zog kräftig an
der Leine. Er hatte leicht abstehende Ohren - der Mann. Vom Hund hatte Katrin
keinen Eindruck. Das war der beste Eindruck, den sie sich hatte vorstellen
können.
     
    6.12.
     
    In der
Nacht zum Nikolaustag hatte es geschneit und der Schnee war liegen geblieben.
Kurt ebenfalls. Der Schnee würde laut Prognose zu Mittag bereits geschmolzen
sein. Kurt nicht.
    Max war müde.
Er hatte nicht einschlafen können, weil er sich zu sehr bemüht hatte, an nichts
zu denken. Dabei war sein Gehirn wachgerüttelt worden. In der Früh, als das
Gehirn endlich einsah, dass Schlaf notwendig war, setzten draußen die
Schneeschaufeln ein. Und ihnen war völlig egal, ob Max schlief oder nicht.
Davor hatte er noch einen Albtraum untergebracht. Er hatte versucht, Katrin,
die junge Frau, die ihm den Hund über die Weihnachtsfeiertage vermutlich nicht
abnahm, zu küssen. Dabei war ihm schlecht geworden. Er hatte sich mit dem
Ausdruck des Bedauerns von ihr abwenden müssen.
    Der Traum
hatte Geschichte. Er verfolgte ihn seit seiner Kindheit. Max kannte ihn in gut
hundert Variationen. Das heißt: Der Traum selbst variierte nicht, nur die
weiblichen Darsteller, früher Schulmädchen, dann reifere Teenies, danach
erwachsene Frauen, darunter all seine Liebschaften und all seine »Frauen fürs
Leben«, die es allesamt nicht geworden waren. Wann immer Max einer Frau
begegnete, die ihm gefiel, die er begehrenswert fand oder in die er sich gar zu
verlieben drohte, träumte er, dass er versuchte sie zu küssen und dass ihm
dabei schlecht wurde. Träumte er es intensiv, musste er sich tatsächlich
übergeben. (Bei Katrin wurde der Traum dank der Schneeschaufeln nicht intensiv.)
    Was die
Handlung betraf, war Max bereits abgebrüht. Der Albtraum selbst konnte ihn
nicht mehr erschüttern. Schon viel eher der Umstand, dass Max dabei die Wahrheit
träumte. Aber damit lebte er nun auch bereits seit 25 Jahren.
     
    Weil Buben
auch immer die wahnwitzigsten Mutproben benötigen, um in den Sommerferien nicht
an Langeweile zu sterben! - Max war damals neun. Seine Bande, die »Dreckigen
Totenkopfpiraten«, hatte bereits alle Feinde in den umliegenden Gemeindebauten
vernichtet. Die Verlierer traten automatisch den »Dreckigen Totenkopfpiraten«
bei. Das war für die jeweiligen Besiegten zwar erfreulich demütigend, hatte
aber den Nachteil, dass die Feinde langsam ausstarben.
    Am
Höhepunkt der feindlosen Fadesse beschlossen die »Dreckigen Totenkopfpiraten«,
die fette Sissi zu kidnappen. Die fette Sissi war acht Jahre alt und
mindestens dreimal dicker als ein Mädchen, von dem man gemeinhin sagen würde,
es sei dick. Ihr Gesicht bestand aus fünf übereinander gewölbten Schichten
reinen Schweinefetts. Ihre Augen waren im Speck versunken und sahen nur noch
das Notwendigste: Essen. Ihr Mund war ein (vermutlich mit Sonnenblumenöl
gefülltes) Schlauchboot. An den Mundrändern klebten Reste gut gelagerter
Eierspeisen. Aus dem Inneren roch es ungefähr nach einem Gemisch aus Leberwurst
mit Zwiebelsenf und Hering mit Knoblauch. Genau konnte es keiner sagen,
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