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Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Titel: Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
Autoren: Stefan Bollmann
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Sexpartnerinnen so knochenhart zu beherrschen, wie er seinen multinationalen Konzern führt. Er sei »komplett abgefuckt«, und zwar »in fünfzig verschiedenen Facetten«, erläutert er Anastasia und erklärt damit gleich auch den Originaltitel des Romans: Fifty Shades of Grey . Dieser Defekt lässt sich, der Leser ahnt es, natürlich heilen. Und wem sollte dies besser gelingen können als der hilfsbereiten, tapferen Anastasia, die sich nicht nur auf seine Spielchen, sondern auf Christian als Person einlässt, ihn durch ihre Unschuld aber zugleich entwaffnet. Das, was in Liebesbeziehungen ansonsten nie gelingt, dass ein Partner den anderen therapiert, hier wird es Ereignis.
    Dem alten literarischen Motiv von der Frau als Seelenführerin des Mannes waren wir schon annähernd dreihundert Jahre zuvor in Samuel Richardsons Roman Pamela begegnet, der die Leselust der europäischen Frauen seiner Epoche anstachelte. Pamela gelang es, Mr B. von seiner Sexsucht zu heilen und ihn zu ihrem Ehemann zu machen, indem sie sich ihm permanent entzog, also gerade nicht das Bett mit ihm teilte – auch Stephenie Meyers Vampirromane folgten noch diesem Schema, und das blieb nicht ohne Folgen für Shades of Grey . Auch Grey droht Anastasia das gesamte Repertoire an, mit dem Mr B. seinerzeit Pamela seine Macht aufzwingen wollte: Verfolgungsjagden, Entführung, Gefangennahme. » TPE , Total Power Exchange «, erläutert Grey zeitgemäß sein Programm: »die vollkommene Unterwerfung rund um die Uhr«. Seine Augen flackern dabei wie die von Mr B., als er einst Pamela nachstellte. Der Unterschied im Verhalten der beiden jungen Frauen zu dieser Herausforderung ihrer Unschuld ist auf den ersten Blick fundamental: Die Zeit, die Richardsons Pamela dafür aufwendet, in Briefen an die Eltern ihr Schicksal auszufabulieren, nutzen unsere Zeitgenossen, um es miteinander zu treiben; und tun sie das einmal nicht, schreiben sie sich E-Mails. Das zumindest hat sich seit 1740 geändert: Tippen statt Schönschrift und einfach sehr viel mehr Sex.
    Im Ergebnis hingegen weichen beide Romane kaum voneinander ab. Zur Überraschung vieler Leser sind Anastasia und Christian, kaum hat Befreite Lust , der dritte Band von Shades of Grey , begonnen, bereits verheiratet. Bald erwarten sie das erste Kind. Und der Rest der Handlung kreist dann vor allem darum, dass Grey seine Vaterschaft akzeptieren lernen muss und ihn seine Herkunft aus prekären Verhältnissen noch einmal einholt. Selbst der eingeschlagene Weg in die gutbürgerliche Ehe unterscheidet sich von Pamela weniger, als der viele Sex vermuten lässt. Am Ende des ersten Bandes verlässt Anastasia Christian schweren Herzens. Und das nicht etwa, weil er sie beim Sex schlägt, sondern wegen der anhaltenden Asymmetrie in Sachen Liebe zwischen ihnen: Sie erträgt es nicht länger, dass bei ihr der Sex mit dem Gefühl von Liebe verbunden ist, er hingegen immer nur Sex haben will, ohne dass er sie zu lieben scheint. Die Trennung ist natürlich ein Cliffhanger – wie ihn auch schon Richardson bei seinem Roman eingesetzt hat, um seine Leser bei der Stange zu halten. Und sie ist zugleich die Peripetie: Während sie auf diese Weise zu spüren bekommt, was Seelenqual ist (die Christian längst bekannt ist), lernt der verletzte und jetzt auch noch verlassene Mr Grey die Liebe kennen (und schätzen). Wie schon Mr B. wandelt er sich im zweiten Band von einem Saulus in einen Paulus in Sachen Geschlechtsliebe. Zum Schluss ist es eher sie, die auf wildem Sex besteht, während er ganz auf Zärtlichkeit geeicht ist, ihr bloß nicht wehtun will. Aus dem Alec, der seine Frauen zwanghaft erniedrigt, ist schlussendlich ein Engel geworden, der die eine Unvergleichliche über alle stellt. So schön kann Sadomasochismus sein.
    Trotz seiner BDSM -Attitüden ist Shades of Grey letztlich ein Ehe- und Tugendroman, ganz im Sinne des Aufklärers Richardson. Er beginnt mit einer Aufteilung der Geschlechterrollen, wie sie konventioneller kaum sein könnte: sie jung, unschuldig, naiv, schüchtern, verträumt; er erfahren, reich, machtbewusst, gefährlich. Doch mit der Zeit beginnen diese klaren Profile zu verschwimmen: Im Auf und Ab der Sexszenen erobert zuweilen sie die Position männlicher Stärke. Nicht er verlässt sie vorübergehend, sondern sie ihn. Und in dem Maße, wie er seine Liebe zu ihr entdeckt, ist sie es, die den Fortgang der Beziehung diktiert. Auch das kennen wir alles schon aus Pamela . Zum Schluss scheinen sich die Ausgangs-
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