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Fratze - Roman

Titel: Fratze - Roman
Autoren: PeP eBooks
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tätscheln immer noch Brandys Unterleib, als sie sich seitlich zum Spiegel dreht und ihr Profil betrachtet. »Das Ding sollte nach einem Jahr weggemacht werden, aber dann habe ich dich kennengelernt«, sagt sie. »Ich habe wochenlang im Congress-Hotel auf gepackten Koffern gesessen und gehofft, du würdest kommen und mich retten.« Brandy dreht ihre andere Seite zum Spiegel und sucht. »Ich habe dich so sehr geliebt, ich dachte, vielleicht ist es noch nicht zu spät.«
    Brandy streicht Lipgloss aus einem Tiegel auf ihre Oberlippe und dann auf ihre Unterlippe, tupft die Lippen mit einem Papiertuch ab und wirft den dicken Plumbagokuss in das Schneckenhausklo. Brandy sagt mit ihren neuen Lippen: »Irgendeine Ahnung, wie man bei dem Ding spült?«
    Stundenlang habe ich auf dieser Toilette gehockt, und nein, ich weiß nicht, wo man da spült. Ich trete auf den Flur hinaus, und wenn Brandy mich vollquatschen will, muss sie mir folgen.
    Brandy stolpert in der Badezimmertür, wo die Fliesen auf den Teppichboden treffen. An einem ihrer Schuhe ist
der Absatz abgebrochen. Der Türrahmen hat eine Laufmasche in ihren Strumpf gerissen. Sie hat nach einem Handtuchhalter gegriffen, um nicht zu stürzen, und sich dabei den Nagellack ruiniert.
    Die glänzende Analqueen der Vollkommenheit sagt: »Scheiße.«
    Die Prinzessin hoch zwei schreit mir nach: »Es ist nicht so, dass ich unbedingt eine Frau sein will.« Sie schreit: »Warte!« Brandy schreit: »Ich tue das nur, weil ich denke, das ist der größte Fehler, den ich machen kann. Es ist dumm und destruktiv, und jeder wird dir sagen, dass es ein Fehler ist. Deswegen muss ich das durchziehen.«
    Brandy sagt: »Verstehst du nicht? Weil wir so dazu abgerichtet sind, im Leben alles richtig zu machen. Keine Fehler zu machen .« Brandy sagt: »Ich denke mir, je größer der Fehler aussieht, desto größer ist meine Chance, auszubrechen und das wahre Leben zu finden.«
    Wie Christoph Columbus, der dem Desaster am Ende der Welt entgegensegelt.
    Wie Fleming und sein Schimmelpilz.
    »Unsere wahren Entdeckungen machen wir im Chaos«, schreit Brandy, »wenn wir uns Ziele setzen, die falsch und dumm und töricht aussehen.«
    Ihre gebieterische Stimme schreit durchs ganze Haus: »Lauf nicht vor mir weg, wenn ich ein paar Minuten brauche, dir alles zu erklären!«
    Als Beispiel bringt sie eine Frau, die auf einen Berg steigt; es gibt keinen vernünftigen Grund für so eine anstrengende Kletterei, und für manche Leute ist das die reine Torheit, ein Unglück, ein Fehler. Die Bergsteigerin nimmt Hunger und Erfrierungen auf sich, Erschöpfung und Schmerzen, tagelang, aber sie klettert auf den Gipfel.
Und vielleicht ändert sie sich dadurch, aber am Ende hat sie nur ihre Geschichte vorzuweisen.
    »Aber ich«, sagt Brandy, noch immer in der Badezimmertür, noch immer auf ihre ruinierten Fingernägel schauend, »ich mach denselben Fehler, nur noch viel schlimmer, die Schmerzen, das Geld, die Zeit, werde von meinen alten Freunden sitzen gelassen, und am Ende ist meine Geschichte mein Körper.«
    Für manche Leute ist eine Geschlechtsumwandlung ein Wunder, aber wenn man eine solche Operation nicht will, ist sie die äußerste Form der Selbstverstümmelung.
    Sie sagt: »Nicht dass es schlecht ist, eine Frau zu sein. Es könnte wunderbar sein, wenn ich eine Frau sein wollte. Tatsache ist«, sagt Brandy, »dass mir absolut nichts daran liegt, eine Frau zu sein. Es ist bloß der größte Fehler, den ich mir denken kann.«
    Und demnach der Weg zur größtmöglichen Entdeckung.
    Weil wir so in unserer Kultur gefangen sind, in unserem Dasein als Menschen auf diesem Planeten, ausgestattet mit einem Gehirn und mit denselben zwei Armen und Beinen wie jeder andere. Wir sind so gefangen, dass jede Fluchtmöglichkeit, die wir nur erdenken können, auch bloß Teil der Falle ist, in der wir sitzen. Alles, was wir wollen, sind wir gezwungen zu wollen.
    »Am Anfang hatte ich die Idee, mir einen Arm und ein Bein amputieren zu lassen, links oder rechts«, sie sieht mich an und zuckt mit den Schultern, »aber kein Chirurg war bereit, mir zu helfen.«
    Sie sagt: »Ich habe Aids erwogen, wegen der Erfahrung, aber schließlich hat Aids inzwischen jeder, und mit Mainstream und Mode wollte ich nichts zu tun haben.« Sie
sagt: »Das haben die Rhea-Schwestern meiner leiblichen Familie erzählt, da bin ich mir ziemlich sicher. Diese Miststücke wollen immer alles für sich vereinnahmen.«
    Brandy zieht ein Paar weiße Handschuhe aus
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