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Feuerbande

Feuerbande

Titel: Feuerbande
Autoren: Birgit Otten
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durchgedreht.
    Wie auch immer, ich würde gewiss wieder erwachen, irgendwann, wenn es Zeit dafür war, und dann würde ich diesen Alptraum hier ganz schnell wieder vergessen haben.
    Vorsichtig setzte ich Schritt vor Schritt. Der Schnee knirschte unter meinen Füßen, und ich stellte fest, dass ich vorangehen konnte, ohne dass mich etwas daran hinderte. Das ist ja leider nicht immer so in Träumen. Ich stapfte voran, und als ich mich einmal umdrehte, hatte ich eine Spur hinterlassen, die irgendwo im Nichts begann und von dort bis zu mir eine gerade Linie bildete. Irrsinn, das alles.
    Ich beschloss, nicht weiter darüber nachzudenken, sondern das zu tun, was man in Träumen so macht – zu handeln. Ich ging einfach Schritt für Schritt, immer weiter. Wie lange ich so marschierte, weiß ich nicht, denn die Gegend hier war vollkommen zeitlos. Ich hatte nicht den Eindruck, dass die Baumlinie am Horizont näher rückte oder sich überhaupt etwas um mich herum änderte. Der Schnee, die Wolken, die Wintersonne – alles blieb gleich.
    Irgendwann fing ich an, müde zu werden, und ich hätte mich gern ausgeruht, doch es war nichts da, um sich darauf niederzulassen. Ich musste mich wohl oder übel in den Schnee setzen, und es war doch eigentlich auch egal, denn im Traum kann man sich keine Erkältungen holen und eine Blasenentzündung ebenfalls nicht.
    Trotzdem wollte ich mich nicht einfach so hinein werfen, sondern versuchte, mit den Händen ein Stück dieses seltsamen Landes von seiner Schneelast freizuschaufeln. Ich grub mit rotgefrorenen Händen, und tatsächlich kam ich bald an etwas, das ich für festen Boden hielt. Doch als ich die letzte Schicht Schnee fortwischte, stellte ich fest, dass die Oberfläche darunter hart und glatt und durchscheinend war.
    Eis! Ich befand mich gar nicht auf festem Boden, sondern es war ein riesiger See, zugefroren und mit Schnee bedeckt. Deshalb gab es hier auch keine Büsche und Bäume...
    Ich starrte hinunter auf den milchigen Boden, und plötzlich blieb mir fast das Herz stehen. Ein Augenpaar starrte zu mir zurück, aus der Dunkelheit unter dem Eis! Große grüne – Katzenaugen. Hier? Eine Katze?
    Wie war sie unter das Eis geraten?
    Plötzlich geriet ich in Bewegung. Wenn dies ein Traum war, so war alles möglich, und ich konnte auch alles tun. Und ich würde es auch, denn alles war besser, als weiterhin auf dieser Ebene ziellos alleine herumzuirren. Ich würde diese Katze herausholen, gleich, ob sie tot oder noch am Leben war – immerhin ein anderes Wesen in dieser seltsamen erfrorenen Welt.
    Vorsichtig begann ich, mit den Absätzen meiner Winterstiefel auf das freigeräumte Eis zu hacken, immer und immer wieder. Erste Risse bildeten sich, verbreiterten sich, wurden zum spinnennetzartigen Geflecht. Erste Eisstückchen splitterten, ein kleines Loch entstand, wuchs und vergrößerte sich. Und die ganze Zeit verfolgten mich die Katzenaugen mit ihrem seltsamen grünstarrenden Blick.
    Als das Loch groß genug dafür war, griff ich hinein ins eiskalte Wasser, das meine Haut stach wie tausend Nadeln. Ich stieß hinein und fühlte Fell, holte ein pelziges Wesen heraus, das sich schüttelte und kläglich maunzte.
    „Es ist unmöglich, dass du lebst“, murmelte ich, „aber es ist auch unmöglich, dass ich hier bin, also spielt es wohl keine Rolle. Komm und wärme dich bei mir auf, wir werden gemeinsam einen Weg hier heraus finden.“
    Die Katze schaute mich an und strich an meinem Bein entlang, und sie ließ es geschehen, dass ich sie nahm und unter meine Jacke hob. Ich meinte sogar, ein Schnurren zu hören.
    „Geht’s dir jetzt gut?“, fragte ich sie, und in dem Moment streckte sie eine Pfote hervor und schlug damit gegen meine Hand, die noch immer die Glocke hielt. Wie hatte ich sie nur die ganze Zeit über vergessen können?
    Die Glocke klingelte, ein zweites Mal.
     
    Der schneebedeckte See um uns her war verschwunden. Stattdessen fand ich mich nun zwischen Bäumen wieder, hohen Bäumen, die überall wuchsen. Die Katze hielt ich noch immer auf dem Arm, unter meiner Jacke. Sie war warm und lebendig und schnurrte leise.
    Die Bäume ragten bis in den Himmel, der durch ihr Geäst kaum sichtbar war. Unmöglich, die Tageszeit zu bestimmen. Ein unsichtbarer Wind bewegte Zweige und Äste, die mit Schnee bedeckt waren wie der See, und Schnee knirschte auch unter meinen Füßen. Aber sonst war nichts zu hören, kein Tier, kein Geräusch bis auf den Wind, der leeres Astwerk schüttelte.
    Der
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