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Fesseln der Unvergaenglichkeit

Fesseln der Unvergaenglichkeit

Titel: Fesseln der Unvergaenglichkeit
Autoren: Karin Kolb
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erschien er ihm wie blanker Hohn.
    Seine Schuld konnte kein Gebet lindern!
    Seit über fünfhundert Jahren waren die Visconti unschlagbar. Die letzten zweihundert Jahre hatten sie in Amerika den Kunsthandel dominiert und geprägt. Es gab kein Museum, das sie nicht beliefert hatten. Jeder erfolgreiche Künstler bettelte darum, in ihren Galerien auszustellen. Leonardo war immer stolz darauf gewesen, ein Teil dieser alten Familie zu sein.
    Die neugotischen Mauerbögen starrten auf ihn herab, als wollten sie ihn mitsamt seiner Verfehlung zermalmen. Er hatte weit mehr als nur gesündigt. Für ihn gab es keine Buße, die das Unheil je ausgleichen könnte. Er war der erste Verräter in der langen Blutlinie.
    Leonardo bog in einen Seitenflügel. Raues Holz drückte sich gegen seine Knochen, als er auf einem Gebetsbalken auf die Knie fiel.
    Maria schwebte über seinem Kopf auf einem Steinsockel. Ihre schwarzen Augen starrten ihn an, durch ihn hindurch. Ihr Blick ließ Leonardo erbeben.
    Verzweifelt sah er zu Maria auf. Es musste einen Weg geben, den Fluch aufzulösen.
    Iwan, sein Freund, war der Einzige, der das Geheimnis kannte. Er hatte ihm schon damals gesagt, es gäbe eine Lösung.
    Leonardos Erregung nahm zu. Er musste sofort mit Iwan sprechen. Plötzlich gab ihm die Kirche keine Sicherheit mehr, sondern umschloss ihn wie ein Gefängnis. Sein Körper wehrte sich. Mit unerwarteter Wucht explodierten seine Reflexe und die antrainierte Beherrschung fiel von ihm ab wie ein welkes Blatt.
    Leonardo schoss durch den aus glattem Marmor erbauten Innenraum der Kathedrale. Durch eine schmale Holztür stürzte er hinaus auf die Straßen von Manhattan. Er rannte, bog mit einem scharfen Schlenker nach rechts ab und stürmte mit übernatürlicher Geschwindigkeit und unsichtbar für jeden Menschen durch die Nachmittagssonne. Sein reines Blut schützte ihn vor den Strahlen. Die Anspannung seines Körpers trieb ihn immer weiter. Leonardo konzentrierte sich auf seinen Slalom durch die verstopften Straßen. Der Lärm stachelte ihn an.
    Voller Zuversicht überließ er sich dem hoffnungsvollen Gefühl, das seine Ängste zu vertreiben suchte.
    Beißende Abgase hingen wie eine Wolke über der Avenue. Leonardos Lungen füllten sich mit diesem von Menschen produzierten Gift, und so, wie sein Körper gegen den Gestank rebellierte, versuchte Panik, alle Hoffnung zu ersticken.
    Er folgte dem Verkehr, der sich wie Prozessionsraupen durch die Stadt fraß. Am Central Park bog er ab und rannte durch die grüne Lunge von Manhattan, bis er vor sich das zwölfstöckige Gebäude mit den verspiegelten Fenstern sah.
     
    Der edle Eingang des Zehnzimmerpenthouses umrahmte Iwans hohe Gestalt wie ein Bilderrahmen. Das flämisch anmutende Gesicht überzog sich mit einem schiefen Grinsen, als er Leonardo sah. Theatralisch hob er seine schlanken Hände. Sie schwebten für Sekunden in der Luft, sanken hinunter, und gespielte Enttäuschung zeichnete sich in seinen Zügen ab.
    »Ich hatte gehofft, du wärst weiblich, einsfünfundsechzig groß, mit blonden Haaren und genau der Art von Kurven, die ich liebe.«
    Leonardo wich den wippenden Locken seines Freundes aus, schlang zur Begrüßung die Arme um dessen Hals und zog ihn an die Brust. Die Beherrschung, die er auf dem Weg hierher mühsam aufgebaut hatte, brach bei der intimen Berührung zusammen. Seine Hände verkrallten sich in den breiten Schultern.
    »Mein Vater verlangt, dass ich Helena sofort heirate«, stieß er gepresst hervor.
    Iwans Lächeln erlosch. »Du musst ihm endlich die Wahrheit sagen.«
    »Ausgeschlossen!« Seine Stimme klang viel zu hoch. Verbissen versuchte er, mit einem Räuspern die Stimme in ihre tiefe Lage zurückzubringen. »Ich darf nicht aufgeben.«
    Leonardo öffnete die Balkontür. Er konnte kaum atmen. Tief inhalierte er die Abendluft, die dank des nahen Central Parks nach Eichen duftete.
    »Ja, verdammt! Du hast recht.« Iwan wich zwei Schritte zurück und ließ sich auf einen Stuhl fallen, der unter der heftigen Bewegung ächzte.
    Leonardo warf ihm einen dankbaren Blick zu. Wieder einmal verstanden sie sich ohne viele Worte. Er konnte sich glücklich schätzen. Wie der wetterfeste Knoten eines Schiffstaus hatte sich ihre Freundschaft über Jahre hinweg ineinander verflochten. Er richtete sich auf und pumpte Luft in seine Lungen. »Daphnes Tod hat den Fluch ausgelöst, darum kann ich keine Lix mehr heiraten. Nur mit ihrer Hilfe haben wir Zugang zum Zwischenbereich und können uns mit
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