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Ewig

Ewig

Titel: Ewig
Autoren: Gerd Schilddorfer , David G. L. Weiss
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ausmachen. Valerie und Georg beugten sich ebenfalls hinunter und schauten gebannt auf den Rubin, versuchten ihn mit ihren Blicken zu durchdringen. Die Pille zeichnete sich in dem Stein immer klarer ab. Sie war gleichmäßig oval und überraschend klein. Jetzt verstand Wagner, wie Heydrich die weiße Kapsel in seinem Zahn hatte verstecken können.
    »Der Traum vom ewigen Leben. Das größte Geheimnis der Menschheit«, sagte Paul leise und ehrfurchtsvoll, »und wir haben es wieder entdeckt, nach fünfhundert Jahren des Vergessens. Jetzt ist es zum Greifen nahe, wir brauchen nur mehr die Hand auszustrecken.« Ein Schauer der Erregung ergriff ihn. Er verstummte und richtete sich auf.
    »Könnt ihr euch vorstellen, was es bedeutet hätte, wenn Friedrich seinem Sohn Maximilian, dem letzten Ritter, das Wissen und die Pille vererbt und das Geheimnis nicht versteckt hätte? Österreich wäre unbesiegbar geworden, weil seine Soldaten unsterblich gewesen wären. AEIOU – Alle Erde ist Oesterreich untertan. Jetzt verstehe ich die Bedeutung voll und ganz. Zuerst hätte Österreich gesiegt und gesiegt, weil Maximilian Engel geschaffen hätte, unsterbliche Wesen, die alle überlebt hätten und dann wieder unsterbliche Kinder gezeugt hätten.« Wagner verstummte vor der entsetzlichen Vision einer übervölkerten Erde mit unsterblichen, ewig lebenden Wesen. »Der Himmel wäre tatsächlich leer gewesen, die Engel auf die Erde herabgestiegen. Und dann …«
    Valerie unterbrach Paul und setzte seinen Satz mit ergriffener Stimme fort: »… dann wäre das Ende der Welt gekommen, das Ende der Zeit, wir wären selbst zu den apokalyptischen Reitern geworden, zu gefallenen Engeln. Was für eine schreckliche Vorstellung. Wenn Friedrich das Maß nicht gehabt hätte, sein Gewissen nicht über Machtgier gestellt hätte, dann wären wir jetzt nicht mehr hier. Weil die Welt schon längst in den Fluten der unsterblichen Menschenmassen untergegangen wäre.«
    Alle drei schwiegen und schauten auf den blutroten Rubin in der Reichskrone mit seinem verhängnisvollen Inhalt.
    Georg Sina sprach aus, was sie alle dachten. »Friedrich hat die Wahl gehabt – zwischen einem weltbeherrschenden, allmächtigen und unsterblichen Römisch-Deutschen Reich und seinem Gewissen. Er sah es kommen, er hatte die Folgen gut abgewägt, jahrelang bedacht. Das war ihm wichtiger, als Schlachten zu schlagen und um Länder zu kämpfen. Er hätte sie alle mit einem Mal haben können. Wie unbedeutend muss ihm alles andere erschienen sein angesichts dieser Entscheidung.« Der Wissenschaftler legte die Hände auf die Vitrine, fühlte die Kraft und die Macht und das schlummernde Verderben, die darauf warteten, wieder erweckt zu werden. Es schien, als sauge die Krone alle Energie aus ihm und er fühlte sich plötzlich schwach und unbedeutend. Hatte Friedrich sich auch so gefühlt? Wieder hatte er das Gefühl, der Kaiser stehe im Raum mitten unter ihnen und beobachte sie mit einem nachsichtigen Lächeln, sicher, dass sie die richtige Entscheidung treffen würden.
    »Und heute, fünfhundert Jahre später, heute stehen wir vor derselben Wahl wie Friedrich und nichts hat sich geändert. Gar nichts.«
    Paul und Valerie fehlten die Worte und die Wucht der Erkenntnis traf sie wie ein Blitzschlag. Die Zukunft der Welt würde hier und jetzt entschieden werden, sie hatten es in der Hand.
    Der Museumswächter schien die Spannung zu spüren, er kam näher, blieb aber im Dunkel, verschränkte die Hände auf dem Rücken und ließ die drei Besucher und die Krone nicht aus den Augen.
    »Ich kann es nicht«, sagte schließlich Valerie mit brüchiger und leiser Stimme, »niemand kann es und kein Mensch sollte vor eine solche Entscheidung gestellt werden.« Sie dachte an ihr Land, ihre Familie, ihren todkranken Großvater und dann? Ihr Gehirn konnte sich die Folgen nicht ausmalen, zu schrecklich waren sie.
    Georg hatte sich bereits entschieden. »Die Welt, wie wir sie kennen, würde morgen untergehen«, meinte er nachdenklich, »wenn wir jetzt diese Pille herausholen und sie wem immer auch anvertrauen.«
    Paul nickte und ergänzte: »Wie sagte Mertens in seinem Vermächtnis? ›Doch am Ende sei weise in Deinen Taten und entscheide richtig.‹ Er hatte es geahnt.« Sie blickten sich alle drei an und sahen in den Augen der anderen, dass die Entscheidung bereits gefallen war.
    Die Krone glänzte auf ihrem dunkelroten Samtpolster und der Rubin leuchtete verführerisch und teuflische leise Stimmen
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