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Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Titel: Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman
Autoren: Constanze Petery
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darauf warten, dass der Zeiger der Uhr sich bewegt und die Glocke ertönt, es soll planlos gen Himmel steigen, Wolkenschichten durchbrechen und immerzu streben, eines Tages an der Sonne statt an mitleidsvoll zugeworfenen Krumen zu picken. Autark muss ein Vogel sein. Herrenlos herrlich.
    Ich drehte mich nicht um, als ich aus der Schule floh. Ich rannte, nein, endlich flog ich den ganzen Weg zurück, den ich mich am Morgen, wie an so vielen davor, lange, lange davor, entlanggeschleppt hatte. Die Häuser und Alleen wichen zurück, wie auch die wenigen Passanten, Hausfrauen mit strähnigen Haaren, Augenringen, faltigen Gesichtern. Halb neidische, halb bewundernde Ahnungen, die in den stumpfen Blicken aufloderten, um dann doch rauchend, rußend zu sterben, folgten mir, ich floh vor ihnen, vor einer Ungegenwart, die mir als Zukunft drohte. Weil ich die Schule verlassen habe. Ohne einen Plan, wie und ob ich wieder zurückkehren werde. Jemals mich wieder preisgeben, aufgeben an die Lehranstalt?
    Wer nicht in die Schule geht, bleibt dumm. Wer dumm ist, findet keine Arbeit. Wer nicht arbeitet, hat keine Chance im Leben, außer: heiraten, Kinder bekommen, eine Familie gründen,
kochen, putzen, backen, in der Schürze durch das Leben gehen und die eigenen Flügel gegen einen Bausparvertrag eintauschen. Werde ich wie diese Frauen werden, die mir auf meiner Flucht begegnet sind? Oder werde ich wie dieser Kerl, über den ich – Entschuldigung, ich bin in Eile – gestolpert bin?
    Was sitzt er auch in einem Hauseingang, hingeschlagen nach einer Reise in das Alkoholtraumland, wenigstens ist es warm dort und er etwas glücklicher und noch nicht wieder aufgerafft oder weggezerrt und weggeschlossen. Werde ich auch mal obdachlos durch die Stadt taumeln, torkeln und vor Schmutz starren, mit zu weiten Kleidern und faulem Essen aus der Mülltonne, am Lebensende, am Zweitlebensanfang unter der Brücke in den eigenen Ausscheidungen liegen und einem besseren Leben als Hausfrau nachseufzen?
    Wenn meine Mutter das erfährt. Dass ich abgehauen bin. Einfach weg. Nach allem, was sie für mich getan hat, schmeiße ich den ganzen Krempel hin. Ich werde nie ihre Träume erfüllen. Ich werde keine Powerkarrierefrau, die mit Leichtigkeit Managerjob und Kleinkinder kombiniert, am Vormittag den Deal mit Japan abklärt, danach im Fitnessstudio den Marathonrekord aus New York virtuell nachrennt und bricht, den Nachmittag ganz den lieben Kleinen widmet und nach einem kalorienarmen, einem-Chefkoch-würdigen-mehrere-Gänge-Abendessen noch mit den Freundinnen durch die besten Clubs der Stadt zieht. All dies selbstverständlich in Style und höchst gelassen. Stattdessen werde ich mal Loser. Schulabbrecherin.
    Ich konnte mein Tempo nicht mehr halten. Ich konnte nicht mehr wegrennen vor den Lehrern und Schülern, den Supermarktshoppern und den Lumpensammlern, den Übermüttern
und den Vätern, die einen doch nur im Stich ließen. Ich fiel zurück. Fiel in mein Zimmer, in mein Bett und spürte dort keine Wand zum Anlehnen, keine Tapeten-Raufaser-Schulter, nichts, nur Laken, die nicht wärmen, weil sie nass sind von zu vielen Augenausflussträumen. Ich kroch unter meinen Schreibtisch, eine Höhle, in der ich wenigstens mich fühlen kann. Ganz allein sein. Ganz bei mir. Ganz weit weg. Doch auch dort steckten die Erinnerungen überall. Der Teppich schreit nach Geschenkpapierbergen an Weihnachten. Staubflocken bringen mich zum Weinen um die mutterlosen Wochenenden, an denen sich Vater und Tochter an einen Überraschungsputz machen wollen und kläglich am Einschaltknopf des Staubsaugers scheitern. Die Vergangenheit schlug zu. Sie schlug ganz gezielt dorthin, wo es wehtat. Wohin ich einen Menschen gepackt hatte, einen ganzen Menschen mit Körper, Seele, Liebe, Hass – alles weg. Verscharrt wie eine Leiche, keiner soll den letzten Sommer wieder ausbuddeln und die Zeitkörnchen in meinem Hirn ausstreuen, nicht den gerade vergangenen Sommer.
    In diesem Sommer hat mich mein Vater verlassen.
    Er begeisterte sich sehr für Physik, Biologie und überhaupt alle Naturwissenschaften. Am Monatsanfang kam er immer an genau einem Nachmittag etwas später von der Arbeit zurück, weil er zu dem einzigen Kiosk fahren musste, dessen große Auswahl an speziellen Zeitschriften auch ein paar Magazine beinhaltete, die die neuen Forschungsergebnisse der wichtigen internationalen Institute vorstellten. Dieser Kiosk lag weit von unserer Wohnung und dem Arbeitsplatz meines Vaters entfernt,
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