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Eselsmilch

Eselsmilch

Titel: Eselsmilch
Autoren: J Mehler
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es für eine Wallfahrt nach Lourdes gespart, aber aus der
ist nie was geworden. Die Scheine liegen jetzt seit gut zwanzig Jahren in der
Schatulle. Ich hab sie nie angefasst – außer ein Mal. Seinerzeit, wie sie
den Euro eingeführt haben, da hab ich die D-Mark-Hunderter in Euro-Fünfziger umtauschen
lassen. Die Wallfahrt, Olga, machst halt du jetzt nach Dings … ach, wohin
du willst.«
    Ein
nach Tuareg-Art gekleideter Junge – er trug ein elfenbeinfarbenes
knöchellanges Übergewand und eine indigoblau gefärbte Chèche, die er als Turban
geschlungen hatte – servierte die Suppe. Unterdessen nahm ein befrackter
Kellner die Getränkebestellungen auf, und Fanni meinte zu erkennen, dass es
derselbe war, der ihnen am Morgen die beiden NusNus an den Tisch gebracht
hatte.
    »Na
endlich«, hörte sie Hubert knurren. »Na endlich bequemt sich einer von den
Berabern mal und kümmert sich darum, dass wir was zu trinken bekommen.«
    Offensichtlich
glaubte auch Sprudel den Kellner wiederzuerkennen, denn nachdem er eine
Halbliterflasche Guerrouane Es Saadi und eine Literflasche Mineralwasser
bestellt hatte, fragte er ihn auf Französisch nach Fannis Tuch. Der Bedienstete
ließ es sich beschreiben, hakte nach, lauschte Sprudels Antwort. Während die
beiden debattierten, sah Fanni, wie sich Gisela und Olga beredte Blicke
zuwarfen.
    Wie
beinahe erwartet, gab der Kellner Sprudel zu verstehen, das beschriebene Tuch
sei ihm nirgends untergekommen.
    Am
Tisch löffelte man schweigend die Suppe.
    Olgas
Teller war noch halb voll, als sie den Löffel weglegte, sich zu Fanni beugte
und leise sagte: »Dein Tuch hatte Martha um.«
    Fanni
sah sie verdattert an.
    »Erinnerst
du dich nicht?«, fragte Olga fast flüsternd. »Heute Morgen haben wir uns alle
im Hotelcafé ans Panoramafenster gesetzt, um auf den Ersatzbus zu warten. Als
du und Sprudel später dazugekommen seid, war dort nur noch ein einziger Stuhl
frei. Während ihr überlegt habt, wo ihr euch hinsetzen sollt, hast du dein
Umschlagtuch abgenommen und es über die Stuhllehne gehängt. Bernd hat dann
angeboten, auf die Suche nach einem zweiten Stuhl zu gehen, aber du hast
abgelehnt. Ihr seid stattdessen in den hinteren Teil des Cafés gegangen und
habt euch da einen Tisch gesucht. Das Tuch hast du hängen lassen.«
    Ja,
dachte Fanni, als es ihr wieder einfiel. Es ist auf jener Stuhllehne
zurückgeblieben.
    »Gerade
als dir Martha nachrufen und dich darauf aufmerksam machen wollte«, fuhr Olga
fort, »bekam sie wieder einen Hustenanfall. Du weißt ja, sie hustete schon die
ganze Zeit. Sie hat die Lutschtabletten aus ihrer Tasche geholt und dabei
festgestellt, dass sie fast aufgebraucht waren. Deshalb hat ihr Gisela geraten,
sich lieber mit Nachschub zu versorgen. ›Gleich neben dem Hotel ist eine
Apotheke‹, hat sie gesagt …«
    Olga
brach ab, weil der Kellner herangetreten war, eine kleine Flasche Flak öffnete
und das marokkanische Bier in ihr Glas schäumen ließ. Erst als er sich Gisela
zuwandte, sprach sie weiter. »Martha ist sofort aufgestanden und
hinausgelaufen, aber gleich wieder zurückgekommen. Sie hat etwas von ›eiskaltem
Wind‹ gesagt, nach deinem Tuch gegriffen und es sich um die Schultern gelegt.
Gisela und ich haben ihr ermunternd zugenickt. Es war ja klar, dass du ihr das
Tuch gerne borgen würdest, sie sollte sich doch nicht noch mehr verkühlen.«
    Olga
schwieg und starrte auf das Flak in ihrem Glas, dessen Schaumkrone bereits zu
einer winzigen Insel zusammengesackt war. Als Fanni schon dachte, sie würde
ihrem Bericht nichts mehr hinzufügen, sagte sie: »Das war das Letzte, was ich
von Martha gesehen habe: dein rotes Umschlagtuch und die hellgraue Mütze, die
sie sich aufgesetzt hatte. Dann habe ich nicht mehr auf sie geachtet, weil
Hubert anfing, Witze über die Duschvorrichtung in seinem Hotelzimmer zu
reißen.«
    Die
quengelige Stimme der Reiseleiterin unterbrach das Gespräch. »Ich möchte, dass
wir nach dem Hauptgang – es gibt Tajine mit Hühnchen – darüber
abstimmen, ob die Reise weitergehen soll.« Elke sah angegriffen aus, müde und
zerschlagen.
    Kein
Wunder, sie konnte sich schließlich nicht den ganzen Tag in einem Kingsize-Bett
räkeln wie Fanni Rot! Sie muss eine Menge Papierkram erledigt haben und
Telefongespräche noch und noch, mit der Agentur, mit den Behörden …!
    Die
Keramiktöpfe, in denen das Hühnchen gegart und serviert worden war, waren
schnell leer gegessen. Huberts Kalauer: »Wie sagt der Beraber, wenn es
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