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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen
Autoren: Franz Kafka
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mit von der
    Nacht her noch aufgelösten, hoch sich sträubenden Haaren -
    sah zuerst mit gefalteten Händen den Vater an, ging dann zwei
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    Schritte zu Gregor hin und fiel inmitten ihrer rings um sie her-
    um sich ausbreitenden Röcke nieder, das Gesicht ganz unauf-
    findbar zu ihrer Brust gesenkt. Der Vater ballte mit feindseli-
    gem Ausdruck die Faust, als wolle er Gregor in sein Zimmer
    zurückstoßen, sah sich dann unsicher im Wohnzimmer um,
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    beschattete dann mit den Händen die Augen und weinte, daß
    sich seine mächtige Brust schüttelte.
    Gregor trat nun gar nicht in das Zimmer, sondern lehnte
    sich von innen an den festgeriegelten Türflügel, so daß sein
    Leib nur zur Hälfte und darüber der seitlich geneigte Kopf zu
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    sehen war, mit dem er zu den anderen hinüberlugte. Es war
    inzwischen viel heller geworden; klar stand auf der anderen
    Straßenseite ein Ausschnitt des gegenüberliegenden, endlosen,
    grauschwarzen Hauses - es war ein Krankenhaus - mit seinen
    hart die Front durchbrechenden regelmäßigen Fenstern; der
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    Regen fiel noch nieder, aber nur mit großen, einzeln sichtbaren
    und förmlich auch einzelnweise auf die Erde hinuntergeworfe-
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    Franz Kafka: Erzählungen

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    nen Tropfen. Das Frühstücksgeschirr stand in überreicher Zahl
    auf dem Tisch, denn für den Vater war das Frühstück die wich-
    tigste Mahlzeit des Tages, die er bei der Lektüre verschiedener
    Zeitungen stundenlang hinzog. Gerade an der gegenüberlie-
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    genden Wand hing eine Photographie Gregors aus seiner Mili-
    tärzeit, die ihn als Leutnant darstellte, wie er, die Hand am
    Degen, sorglos lächelnd, Respekt für seine Haltung und Uni-
    form verlangte. Die Tür zum Vorzimmer war geöffnet, und
    man sah, da auch die Wohnungstür offen war, auf den Vor-
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    platz der Wohnung hinaus und auf den Beginn der abwärts
    führenden Treppe.
    "Nun", sagte Gregor und war sich dessen wohl bewußt, daß er der einzige war, der die Ruhe bewahrt hatte, "ich werde
    mich gleich anziehen, die Kollektion zusammenpacken und
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    wegfahren. Wollt Ihr, wollt Ihr mich wegfahren lassen? Nun,
    Herr Prokurist, Sie sehen, ich bin nicht starrköpfig und ich
    arbeite gern; das Reisen ist beschwerlich, aber ich könnte
    ohne das Reisen nicht leben. Wohin gehen Sie denn, Herr
    Prokurist? Ins Geschäft? Ja? Werden Sie alles wahrheitsgetreu
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    berichten? Man kann im Augenblick unfähig sein zu arbeiten,
    aber dann ist gerade der richtige Zeitpunkt, sich an die frühe-
    ren Leistungen zu erinnern und zu bedenken, daß man später,
    nach Beseitigung des Hindernisses, gewiß desto fleißiger und
    gesammelter arbeiten wird. Ich bin ja dem Herrn Chef so sehr
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    verpflichtet, das wissen Sie doch recht gut. Andererseits habe
    ich die Sorge um meine Eltern und die Schwester. Ich bin in
    der Klemme, ich werde mich aber auch wieder herausarbeiten.
    Machen Sie es mir aber nicht schwieriger, als es schon ist.
    Halten Sie im Geschäft meine Partei! Man liebt den Reisenden
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    nicht, ich weiß. Man denkt, er verdient ein Heidengeld und
    führt dabei ein schönes Leben. Man hat eben keine besondere
    Veranlassung, dieses Vorurteil besser zu durchdenken. Sie
    aber, Herr Prokurist, Sie haben einen besseren Überblick über
    die Verhältnisse als das sonstige Personal, ja sogar, ganz im
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    Vertrauen gesagt, einen besseren Überblick als der Herr Chef
    selbst, der in seiner Eigenschaft als Unternehmer sich in sei-
    nem Urteil leicht zu Ungunsten eines Angestellten beirren läßt.
    Sie wissen auch sehr wohl, daß der Reisende, der fast das
    ganze Jahr außerhalb des Geschäfts ist, so leicht ein Opfer von
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    Klatschereien, Zufälligkeiten und grundlosen Beschwerden
    werden kann, gegen die sich zu wehren ihm ganz unmöglich
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    ist, da er von ihnen meistens gar nichts erfährt und nur dann,
    wenn er erschöpft eine Reise beendet hat, zu Hause die
    schlimmen, auf ihre Ursachen hin nicht mehr zu durchschau-
    enden Folgen am eigenen Leibe zu spüren bekommt. Herr
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    Prokurist, gehen Sie nicht weg, ohne mir ein Wort gesagt zu
    haben, das mir zeigt, daß Sie mir wenigstens zu einem kleinen
    Teil recht geben!"
    Aber der Prokurist hatte sich schon bei den ersten Worten
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    Gregors abgewendet, und nur über die zuckende Schulter
    hinweg sah er mit aufgeworfenen Lippen nach Gregor
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